Ein Vorschlag zum Masshalten: Das 100-Prozent-Geld
Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 hat nicht nur die Finanzbranche selbst ins Trudeln gebracht, sondern auch die Realwirtschaft in höchstem Mass gefährdet. Diese Gefahr konnte nur abgewendet werden durch massive Neuverschuldungen der Staaten. Die Weltwirtschaft hat sich seitdem wieder weitgehend erholt. Die Erholung aufgrund von Staatsverschuldungen ist aber nur eine Erholung auf Zusehen hin. Die Weltwirtschaft bleibt gefährdet, wenn nicht grundsätzliche Reformen erfolgen, die das Problem an der Wurzel anpacken.Von Hans Christoph Binswanger
Das grundsätzliche Problem ist die – fast – ungezügelte Kredit- und Geldschöpfung und die durch sie finanzierte spekulative Aufblähung von Vermögenswerten (vor allem Aktien), die weit über ihren realen Wert hinaus steigen können. Um dies zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass die Banken immer mehr zu Produzenten von Geld geworden sind. Sie schöpfen Geld, indem sie Kredite vergeben, die den Kreditnehmer als Sichtguthaben auf Girokonten – oder ähnlichen Konten – der Banken verbucht werden. Mit diesen Guthaben kann man mit Hilfe von Überweisungsaufträgen oder Bankkonten zahlen. Sie sind daher Geld, sog. Buchgeld. Dieses Buchgeld kann in Banknoten der Zentralbank, also in Papiergeld, eingelöst werden. Dies geschieht aber nur in geringem Ausmass, weil die Zahlung mit Buchgeld wesentlich einfacher und bequemer ist. Heute besteht die Geldmenge zu ca. 95 % aus Buchgeld und nur zu ca. 5% aus Banknoten. Entscheidend ist, dass bei der Kreditgewährung und der Verbuchung der Kredite auf den Girokonten den Banken keine anderen Guthaben vermindert werden. Die Geldmenge nimmt daher insgesamt in dem Ausmass zu, als die Gewährung neuer Kredite die Rückzahlung alter Kredite übersteigt. Dies war seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 immer der Fall, so dass die Geldmenge seitdem ständig gewachsen ist.
Eine solche Geldvermehrung dient der Realwirtschaft, wenn und solange die Unternehmen, denen die Kredite gewährt werden, sie dazu benötigen, um zusätzliche Arbeitsleistungen, Rohstoffe, Energie und Maschinen zu kaufen und die Produktionskapazität und Produktion zu erhöhen. Auf diese Weise kommt es im Allgemeinen trotz der Erhöhung der Geldmenge nicht zu einer Inflation, sondern vielmehr zu einem Wachstum des realen Sozialprodukts.
Anders ist es, wenn die Kredit- und Geldschöpfung dazu dient, immer mehr Vermögenswerte nachzufragen, in Erwartung, dass diese in Zukunft steigen werden. Wenn diese Erwartung sich gerade dadurch rechtfertigt, dass wegen der zunehmenden Nachfrage die Preise der Vermögensgrössen steigen, kommt es zu einer partiellen Inflation − einer Inflation der Vermögenswerte. Es bildet sich eine Spekulationsblase, die früher oder später platzen muss. Sie platzt dann, wenn die Zentralbanken befürchten müssen, dass die spekulative Geld- und Kreditschöpfung vom Vermögensmarkt auf den Gütermarkt überschwappt und eine Inflation der Güterpreise droht. Dann sind die Zentralbanken entsprechend ihrem Auftrag, eine Inflation der Güterpreise zu verhindern, gezwungen, die Zinsen zu erhöhen, zu denen sich die Banken bei ihnen refinanzieren können. Entsprechend müssen die Banken ebenfalls die Zinsen heraufsetzen. Wenn sie höher werden als die erwartete Steigerung der Vermögenswerte, bricht die Spekulationsblase zusammen. Die Nachfrage nach den Vermögenswerten schrumpft, und damit schrumpfen deren Preise. Daraus entsteht eine Verschuldungskrise – denn alle Kredite sind ja gleichzeitig auch Schulden! Dies führt dazu, dass die Banken nicht nur die Kredite zur Finanzierung von Vermögenskäufen, sondern auch die Kredite zur Finanzierung realer Investitionen einschränken. Dann droht die Verschuldungs- bzw. Finanzkrise in eine Wirtschaftskrise auszuarten.
Dies war der Fall in der Krise 2008/09. Um dieser Drohung zu begegnen, mussten die Staaten den Banken unter die Arme greifen, und um dies zu ermöglichen, sich selber verschulden. Um die Schuldenlast der Staaten nicht zu stark ansteigen zu lassen, und allgemein die Wirtschaft wieder anzukurbeln, waren die Zentralbanken veranlasst, die Zinsen erneut zu senken. Dadurch wurde und wird aber wieder das Potential zu einer nächsten Spekulationsblase und damit zu einer neuen Krise aufgebaut. Die Gefahr ist gross, dass sich dabei wegen der zunehmenden Schuldenlast des Staaten die negativen Folgen potenzieren.
Um dies zu verhindern, drängt es sich auf, auf den Vorschlag zu einer Geld- und Finanzreform von Irving Fisher, dem bedeutendsten amerikanischen Ökonomen des 20. Jahrhunderts zurückzukommen, mit dem er auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 reagiert hat. Er wird heute wieder bzw. erst recht aktuell. Es geht darum, der Zentralbank die Möglichkeit zu geben, aktiv und nicht nur reaktiv die Kredit- und Geldschöpfung so zu steuern, dass sich spekulative Blasen gar nicht erst bilden können. Zu diesem Zweck sollten die Giroguthaben der Banken, d.h. das Buchgeld, zu 100% durch Zentralbankguthaben bzw. Banknoten unterlegt werden müssen. Man spricht daher von «100%-Geld». Dies bedeutet, dass die Banken über die Spargelder hinaus, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, nur soweit neue Kredite geben und damit Geld schöpfen können, als sie im Voraus Zentralbankgeld von der Zentralbank erhalten. Unter dem jetzigen Regime ist eine entsprechende Vorsorgeregelung nicht möglich, weil die Initiative zur Kredit- und Geldschöpfung von den Banken ausgeht, und die Zentralbanken nur im Nachhinein eingreifen können, wenn sich die Kredit- und Geldschöpfung schon zu einer Blase entwickelt hat. Wenn die Zentralbank dann das Steuer umwirft und die Zügel anzieht, folgt notwendigerweise daraus eine Finanzkrise, die stets zu einer Wirtschaftskrise auszuarten droht. Auf diese Weise wird die Wirtschaft immer krisenanfälliger.
Mit einer Vorab-Kontrolle der Geldschöpfung durch die Zentralbank gemäss dem Vorschlag von Irving Fisher und einem zusätzlichen Auftrag an die Zentralbank, nicht nur die Inflation der Güterpreise, sondern auch der Vermögenspreise zu verhindern, kann die Wirtschaft stabilisiert werden, ohne dass es die vielen Einzelregulierungen braucht, die heute diskutiert werden und die die Geschäftstätigkeit der Banken unnötigerweise einschränken.
Die Reformidee von Irving Fisher lässt sich in verschiedener Weise weiterentwickeln. Entscheidend ist, dass sie sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene ernsthaft diskutiert wird, um Wege zu finden, die das Finanz- und Geldwesen wieder auf eine reale Basis stellen, die sie weitgehend verloren hat.
Prof. Dr. Hans Christoph Binswanger ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Den in diesem Beitrag vorgestellten Ansatz vertiefen insbesondere zwei seiner Bücher: Die Wachstumsspirale: Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses (2006) und Vorwärts zur Mäßigung – Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft (2009).
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