30. März 2011, Neue Zürcher Zeitung
Der Bewegungsspielraum der Frauen in Pakistan ist mit der zunehmenden Islamisierung in den letzten Jahren geschrumpft. Einige wenige wagen es, dagegen aufzumucken. Islamische Frauenorganisationen predigen derweil Tugendhaftigkeit.
Andrea Spalinger, Lahore
Veena Malik passt so gar nicht ins Bild, das man sich von einer Vorkämpferin für die Rechte der Frauen macht. Das pakistanische Model und TV-Starlet mit seinem superengen Mini-Kleid, den hochhackigen Pumps und dem viel zu dick aufgetragenen Make-up würde von Feministinnen im Westen wohl mit verächtlichen Blicken taxiert. In Pakistan ist die 26-Jährige zu einem Vorbild im Kampf gegen die konservativen Mullahs geworden, und das will etwas heissen. Seit der Ermordung zweier liberaler Politiker wagt sich hier kaum mehr jemand, gegen die schleichende Islamisierung aufzumucken.
Morddrohungen und Fatwas
Die Tochter eines pensionierten Militärs aus Rawalpindi hatte Ende 2010 mit ihrer Teilnahme an der Show «Big Boss» (einer indischen Version von «Big Brother») in der Heimat für grossen Wirbel gesorgt. Allein die Tatsache, dass sie an dem Fernsehspektakel im verfeindeten Nachbarland teilnahm, brachte islamistische Kreise gegen sie auf. Zu allem Übel freundete sie sich im «Big Boss»-Haus auch noch mit einem indischen Schauspieler an und liess sich gemeinsam mit diesem unter einer Decke am Lagerfeuer sitzend filmen. Die religiösen Eiferer waren empört. Wegen ihres «unangebrachten», «Pakistan beschämenden» Verhaltens bekam Veena Malik Todesdrohungen, Mullahs erliessen Fatwas gegen sie, und es wurden Gerichtsklagen wegen unziemlichen Verhaltens eingereicht.
Als wir mittags um 12 Uhr wie verabredet zum Interviewtermin erscheinen, ist Veena laut ihrem Manager noch im Bett. Eineinhalb Stunden später erscheint sie, in eine dicke Parfumwolke gehüllt und von ihrer Stylistin perfekt frisiert und geschminkt. Als sie realisiert, dass wir nicht vom Fernsehen sind und sie nicht filmen werden, ist sie sichtlich enttäuscht. Die attraktive junge Frau dürfte nicht wegen ihres Intellekts bei den indischen Reality-Show-Zuschauern so populär gewesen sein. Doch kann man von ihr denken, was man will, an Zivilcourage mangelt es Veena Malik nicht.
Nicht nur religiöse Hardliner, sondern auch die Medien hatten nach ihrem Auftritt in «Big Boss» gegen sie gehetzt. Ihre verängstigten Eltern hätten ihr geraten, gar nicht mehr in die Heimat zurückzukehren, doch sie habe nicht klein beigeben wollen, sagt sie. Sie stellte sich einem der feuerspeienden Mullahs in einer Talkshow und ging als klare Siegerin vom Platz. Auf Vorwürfe des Religionsgelehrten, dass sie mit ihrem schamlosen Verhalten die Ehre des Landes besudelt habe, antwortete die junge Frau scharf: «Nicht ich schade dem Image Pakistans und des Islams, sondern Extremisten wie Sie!»
Machismo und Doppelmoral
Über Nacht wurde Veena von einer sozial Geächteten zum Superstar. Nach der Talkshow überhäuften sie pakistanische und ausländische Fernsehsender mit lukrativen Angeboten. Derzeit moderiert sie für einen indischen Sportkanal die Kricket-Weltmeisterschaft. Die neu erworbene Popularität hat freilich ihren Preis. Für die Hardliner ist die junge Frau noch mehr zu einer Hassfigur geworden. Vor kurzem hat sie gar einen Schmähbrief von den Taliban erhalten, in dem ihr und ihrer Familie mit dem Tod gedroht wird.
Das einstige Partygirl Veena lebt heute zurückgezogen in ihrer luxuriösen Villa in Lahore – nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch aus Enttäuschung darüber, dass ihre einstigen Freunde in der Not nicht zu ihr gehalten haben. Ihr Traum ist es, eine eigene Fernsehshow zu moderieren, in der sie die Doppelmoral in ihrem Land aufs Korn nehmen kann. Die pakistanische Gesellschaft sei völlig verlogen, schimpft sie. Vor allem die Männer. Die meisten von ihnen würden im Geheimen Alkohol trinken, Partys feiern und sich Geliebte halten, doch nach aussen hin täten sie strenggläubig und verurteilten andere, die dasselbe täten.
Indische Reality-Shows seien in Pakistan populär, und während sie bei «Big Boss» zu sehen gewesen sei, seien die Einschaltquoten regelrecht in die Höhe geschossen, erklärt Veena Malik. Doch danach hätten sie alle scheinheilig verurteilt. «Wäre ich ein Mann gewesen, hätten die Islamisten kaum so viel Wind gemacht», fügt sie hinzu. «Männer können in diesem Land tun und lassen, was sie wollen, ohne Rücksicht auf ihre Frauen. Wenn diese hingegen etwas tun, was den Zorn ihrer Ehemänner weckt, werden sie geschlagen, mit Säure beworfen oder gar der Ehre halber umgebracht.»
Veena Malik mit ihrer schillernden Karriere ist eine absolute Ausnahmeerscheinung. Mit ihrer Kritik an der machistischen Haltung der religiösen Eiferer spricht sie jedoch vielen pakistanischen Frauen aus dem Herzen. Fast alle Gesprächspartnerinnen beklagen, dass ihr Bewegungsspielraum in den letzten Jahren geschrumpft sei. «Kaum eine Frau wagt sich noch ohne Kopftuch auf die Strasse, und immer mehr verschleiern ihr Gesicht oder tragen sogar eine Burka», sagt Saima Jasam, die für eine politische Stiftung in Lahore arbeitet. Die 46-Jährige ist seit vielen Jahren verwitwet und als alleinstehende Frau gewohnt, für sich selber zu sorgen. Doch im letzten Jahrzehnt sei dies schwieriger geworden. Es gelte heute als unmoralisch, wenn Frauen arbeiteten oder sich abends allein auf der Strasse bewegten. Früher sei sie nachts immer selber Auto gefahren, doch heute wage sie sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr allein auf die Strasse, sagt Saima.
Auch Munawar hat erfahren, dass der Raum enger wird, hat darauf jedoch ganz anders reagiert. Sie konzentriert sich heute darauf, eine «tugendhafte muslimische Frau» zu sein. «Eines Tages hielt ich in meinem Auto an einer Strassenkreuzung und wurde von einer Gruppe von Männern angestarrt», erzählt die 57-Jährige. «In dem Moment wurde mir bewusst, dass es nicht reicht, ein Kopftuch zu tragen, und ich mein Gesicht ganz verschleiern muss.» Munawar trägt seither einen Niqab, wenn sie das Haus verlässt, und fühlt sich nach eigenen Angaben viel freier als früher. «Im Koran steht, das wir uns bedecken sollen. Es geht dabei nicht um die Unterdrückung der Frau, sondern um unsere Sicherheit», sagt sie. «Wir sind etwas Wertvolles und müssen uns vor den Blicken fremder Männer schützen.»
Lehren, tugendhaft zu sein
Munawar ist ausgebildete Ärztin und hat mit ihrem Mann und ihren vier Kindern viele Jahre in den USA gelebt. Heute opfert sie ihre ganze Zeit und Energie der freiwilligen Arbeit für al-Huda. Diese vom Wahhabismus inspirierte islamische Frauenorganisation wurde 1994 von der charismatischen Islamwissenschafterin Farhat Hashmi gegründet. Über 10 000 Frauen sollen in Pakistan und anderen Zentren weltweit bereits durch ihre fundamentalistische Schule gegangen sein. Farhat Hashmi lebt und unterrichtet heute vor allem in Kanada, doch ihre Organisation hat in den letzten Jahren in Pakistan enorm an Zulauf gewonnen.
In Islamabad wurde gerade ein neues al-Huda-Zentrum gegenüber der Islamischen Universität eröffnet. Der riesige Betonbau beherbergt nicht nur unzählige Unterrichtsräume, einen grossen Gebetsraum, eine Kantine und eine Bibliothek, sondern auch einen Kindergarten und eine Schule für die Sprösslinge. Fast alle leitenden Angestellten und Lehrerinnen arbeiten auf freiwilliger Basis. Die meisten von ihnen stammen wie Munawar aus der Oberschicht. Einige waren Ärztinnen, Lehrerinnen und Bankerinnen, bevor sie die Religion zu ihrer Berufung machten. Fast alle haben erfolgreiche Männer und gut ausgebildete Söhne und Töchter.
Al-Huda bietet alle möglichen Kurse und Seminare an, bei denen es in erster Linie darum geht, den Koran in der Interpretation von Farhat Hashmi lesen und verstehen zu lernen. Das oberste Ziel sei, den Frauen beizubringen, eine tugendhafte Gattin zu sein, erklärt Yasmin, die im Führungsgremium des Zentrums sitzt. Kleidervorschriften gebe es hier keine, betonen Yasmin und ihre Kolleginnen freundlich lächelnd, obwohl Lehrerinnen und Schülerinnen alle Uniform-ähnliche Niqabs tragen.
«Al-Huda ist eine sehr elitäre Organisation», erklärt Saima, die selber einmal ein Seminar besucht hat, um die Anziehungskraft der Organisationen zu verstehen. Durch ihre Religiosität hätten die Frauen an Einfluss und Status in der Familie und der Gesellschaft gewonnen und fühlten sich dadurch wichtig. Farhat Hashmis Ziel sei es, möglichst viele Frauen aus der Ober- und Mittelschicht zu «bekehren». Sie tue dies auf geschickte Art und Weise, indem sie den Frauen erst Geborgenheit und Hilfe anbiete und sie dann im eigenen Interesse manipuliere.
Wie viele konservative Madrassen in Pakistan wird auch al-Huda mit Geldern aus Saudiarabien finanziert und propagiert in dessen Auftrag den Wahhabismus. Damit trägt die konservative Frauenorganisation zur Verdrängung der sehr viel toleranteren und spirituelleren südasiatischen Form des Islams bei. Indirekt sei al-Huda zudem auch verantwortlich dafür, dass der rechtliche und soziale Spielraum der Frauen geschrumpft sei, kritisiert der Journalist Khaled Ahmed.
Unter dem Militärdiktator Zia ul-Haq haben Pakistans Islamisten in den achtziger Jahren ihren Einfluss auf die Politik und die Gesellschaft stark ausbauen können. Seither hat sich die Islamisierung schleichend fortgesetzt. Der Universitätsprofessor und politische Kommentator Pervez Hoodbhoy spricht von einer drastischen sozialen und kulturellen Transformation. In den letzten drei Jahrzehnten habe sich der Wahhabismus auf Kosten des sanften südasiatischen Islams mit seinen Sufi-Heiligen ausgebreitet, und Pakistan sei ideologisch zunehmend vom indischen Subkontinent weggedriftet in Richtung Arabische Halbinsel.
Der Islam sei eine Botschaft des Friedens und der Toleranz, erklärt Yasmin mit sanfter Stimme. Dass al-Huda eine sehr konservative Form des muslimischen Glaubens vertritt, will sie im Gespräch nicht zugeben. Ebenso nicht, dass die Organisation durch saudische Gelder finanziert wird. Beobachter in Lahore weisen jedoch darauf hin, dass al-Huda eine fragwürdige Rolle spiele. Die Organisation stehe der islamistischen Partei Jamaat-e Islami nahe und teile deren Ideologie, sagt Khaled Ahmed, Kommentator der Wochenzeitung «Friday Times». Hinter der freundlichen Fassade werde Gewalt gutgeheissen und Usama bin Ladin als Held verehrt. Unabhängig davon, ob al-Huda Gewalt islamistischer Extremisten tatsächlich gutheisse oder nicht – indem sie deren exklusive und radikale Interpretation des Islams propagiere, trage sie zur Radikalisierung des gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds bei.
Die weltweite Dämonisierung des Islams nach den Anschlägen des 11. September 2001 habe zum Aufblühen von Organisationen wie al-Huda beigetragen, erklärt die Frauenrechtlerin Neelam Hussain. Pakistanerinnen aus der Oberschicht, die zuvor westlich orientiert gewesen seien, hätten als Reaktion auf die Angriffe von aussen ihre Religiosität wiederentdeckt. Al-Huda sei längst nicht mehr die einzige islamische Frauenorganisation. In Pakistan existierten mittlerweile 21 solcher Vereine und ihre Anhängerschaft wachse mit jedem Tag, sagt Hussain.
Zunahme der Gewalt
Gleichzeitig nimmt die Gewalt gegen Frauen zu. Laut Naeem Mirza von der Aurat Foundation, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte der Frauen einsetzt, ist die Zahl der Ehrenmorde, der Säureangriffe und anderer Gewaltakte gegen Frauen in den letzten Jahren stark gestiegen. Häusliche Gewalt sei mittlerweile in jedem dritten Haushalt in Pakistan ein Problem, sagt Mirza. Mit dem Krieg im benachbarten Afghanistan und der Islamisierung unter Zia ul-Haq sei die pakistanische Gesellschaft gewalttätiger geworden. Die Situation der Frauen habe sich dadurch kontinuierlich verschlechtert, erklärt er. Aurat lobbyiere im Parlament für bessere Gesetze zum Schutz von Frauen. Doch kaum ein Politiker wage sich dieser Tage noch an das Thema heran, aus Angst, die Islamisten gegen sich aufzubringen.
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