Während die Weltöffentlichkeit gebannt auf die BP-Katastrophe im Golf von Mexiko starrt, gehört die Ölpest in Nigeria zum Alltag.
Wie Blutspuren ziehen sich die braunen Flecken den einsamen Strand beim Fischerdorf Iwuo-Okpom entlang. Erdöl treibt die Wirtschaft Nigerias an und macht seine Strände kaputt. Regelmässig schwappt es an Land, sagen die Dorfbewohner, ruiniert ihren Fang und ihren kargen Lebensunterhalt.
Während die Weltöffentlichkeit gebannt auf die BP-Katastrophe im Golf von Mexiko starrt, gehört die Ölpest in Nigeria zum Alltag. Seit 50 Jahren fördern hier ausländische Konzerne das leicht zu raffinierende nigerianische Öl. Nach Schätzung von Umweltschützern sind seither zwei Milliarden Liter davon ins Nigerdelta geflossen - das ist ungefähr einem Tankerunglück wie bei der «Exxon Valdez» jährlich vergleichbar.
Schwarzes Rohöl verpestet die Sümpfe, die Mangroven und Wasserläufe im Nigerdelta, ein Gebiet etwa so gross wie Portugal. Doch wer ist verantwortlich, wer müsste saubermachen? Die Antworten sind so trübe wie das Wasser.
6800 Ölunfälle in 25 Jahren
«Sie zahlen, wenn in ihrem eigenen Land etwas ausläuft. Alle diese Ölfirmen kommen aus Ländern der Weissen», sagt Pastor Samuel Ayadi, der für die Fischer spricht. «Aber in unserem Land, da lassen sie die Fischer leiden.»
Nigerias Aufstieg zur Ölmacht begann 1956 mit der ersten erfolgreichen Bohrung von Royal Dutch Shell im Nigerdelta. Andere Konzerne folgten, darunter Chevron und Exxon Mobil, Total und Eni. Alle arbeiten mit der staatlichen nigerianischen Ölgesellschaft zusammen.
Die OPEC beziffert die tägliche Fördermenge auf zwei Millionen Barrel. Nach amtlichen Angaben gab es in Nigeria von 1976 bis 2001 6800 Ölunfälle, bei denen fast 500 Millionen Liter beziehungsweise drei Millionen Barrel Öl ausliefen. Umweltschützern zufolge ist darin noch nicht die Menge enthalten, die in entlegenen und gefährlichen Gebieten sowie bei Überfällen Radikaler austritt, die ein grösseres Stück des Kuchens für die Deltaregion fordern.
«Alles wird schwarz»
Von Iwuo-Okpom aus, einem Küstenort mit 7.000 Einwohnern, ist am Horizont eine winzige Flamme zu sehen: eine Bohrinsel von Exxon Mobil. Hier an der Atlantikküste kam es im Januar 1998 zu einem der schwersten Ölunfälle Nigerias, als aus einer geborstenen Mobil-Pipeline sechs Millionen Liter ins Meer liefen. Der Ölteppich breitete sich bis zur 200 Kilometer entfernten Millionenstadt Lagos aus.
Tade Amuwa räuchert in Iwuo-Okpom Fische. Die in Ortsnähe gefangenen liessen sich schlecht verarbeiten, klagt die 35-Jährige. «All das Zeug, alles wird schwarz», sagt sie und zeigt auf öldurchtränktes Treibholz und mickrige, verfärbte Fische.
Die nigerianische Tochterfirma von Exxon Mobil erklärt, sie habe Ölflecken der letzten Zeit mit Lösungsmitteln besprüht, doch sei «bedauerlicherweise etwas Öl an die Küstengebiete gelangt». Auch seien den Einheimischen Arbeitsverträge angeboten worden, beim Säubern zu helfen. Die Dorfältesten sagen, sie wüssten nichts davon.
Keine Vögel, keine Fische
Über 7000 Kilometer Pipelines laufen durch das Delta, manche jahrzehntealt, verrostet und anfällig. Nicht alle Öllecks sind den Konzernen anzulasten. Seit 2006 greifen militante Gruppen die Leitungen an, verschleppen Ölarbeiter und kämpfen gegen Regierungssoldaten. Aus Furcht vor Überfällen und Entführungen zögern die Firmen, Personal zu den Lecks zu schicken. Häufig sind die Beschäftigten auf die Bohrinseln oder militärisch bewachte Unterkünfte beschränkt.
Im Ogoniland probten die Einheimischen in den 90er Jahren den Aufstand und verjagten die Ölfirmen. Doch immer noch verlaufen Shell-Pipelines durch das Sumpfgebiet im Delta. In Bodo City im Ogoniland triefen bei Ebbe die freiliegenden Mangrovenwurzeln vor Öl. Es gibt keine Vögel am Himmel, keine Fische im Wasser. «Die sind eingegangen», sagt Mike Vipene, ein Jugendvertreter des Orts. «Die kommen nicht wieder.»
Raffinerie im Busch
Die Einheimischen geben einer lecken Shell-Pipeline die Schuld. Das Unternehmen möchte sich zu Einzelfällen nicht äussern. Einem Umweltbericht der Firma zufolge waren nahezu alle Fälle austretenden Öls vergangenes Jahr, über 15 Millionen Liter, auf Sabotage zurückzuführen.
In entlegenen Gegenden werden Pipelines öfters von kriminellen Banden angezapft. Amtlichen Schätzungen zufolge stehlen sie bis zu 15 Prozent des Öls aus dem Delta. Es wird für den Schwarzmarkt verschifft oder gleich im Busch raffiniert und am Strassenrand als Treibstoff verscherbelt. Das Motiv der Diebe ist ganz einfach, sagt Young Kibara von der Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volks: «Armut - jeder will überleben.»
Vom Konflikt zur Krise zum Krieg
Im Gegensatz zu den Diebstählen haben die Überfälle in den vergangenen Monaten nach einem Amnestieangebot der Regierung nachgelassen. Der neue Präsident Goodluck Jonathan stammt selbst aus dem Delta und hat versprochen, sich vorrangig um eine Friedenslösung zu kümmern. Doch die Amnestie scheint an Zugkraft zu verlieren, und die vom Öl Betroffenen verlangen weiterhin Entschädigung.
Der Dorfvorsteher von Iwuo-Okpom, Okon Sunday, verlangt von Exxon Mobil Milliardensummen für seine Gemeinde. Wenn die Entschädigungsforderungen nicht ernst genommen würden, werde das unausweichlich zu Gewalt führen, warnt er: «Da wird ein Konflikt zur Krise, eine Krise zum richtigen Krieg.»
(jak/Jon Gambrell, dapd)
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