Die Idee, die die Welt verschlingt
Neoliberalismus
Er ist die herrschende Ideologie unserer Zeit – eine, die den
Gott des Marktes verehrt und uns das nimmt, was uns menschlich macht
Foto: Chris Hondros/Getty Images
Im Sommer 2016 beendeten Wissenschaftler des Internationalen Währungsfonds eine lange und erbitterte Debatte über den Neoliberalismus.
Sie räumten ein, dass er existiert. Drei führende Ökonomen des IWF –
eine Organisation, die nicht gerade dafür bekannt ist, mit linken
Analysen vorzupreschen – veröffentlichten einen Bericht,
in dem sie erstmals die Zweckdienlichkeit des Neoliberalismus in Frage
stellten. Sie trugen so dazu bei, die Vorstellung zu begraben, dass der
Ausdruck nicht mehr sei denn ein verleumderischer politischer
Kampfbegriff ohne analytische Wirkmacht. Der Bericht kritisierte zaghaft
eine „neoliberale Agenda“, welche Ökonomien auf der ganzen Welt zu
Deregulierung dränge, nationale Märkte zur Öffnung für Handel und
Kapital zwinge und fordere, dass Regierungen sich selbst durch
Austerität und Privatisierung klein schrumpfen. Die Autoren belegten
statistisch die Ausbreitung neoliberaler Politik seit 1980 – und deren
Korrelation mit schwachem Wachstum, dem Auf und Ab der Boom-Bust-Zyklen und nicht zuletzt steigender Ungleichheit.
Neoliberalismus ist ein altes Wort, das zunächst in den 1930er Jahren aufkam. Jedoch wird der Begriff nun wiederbelebt, um die derzeit vorherrschende Politik zu beschreiben
– oder präziser: das bisschen Denk-Bandbreite, das unsere Politik noch
erlaubt. Nach der Finanzkrise 2008 bot der Neoliberalismus so eine
Möglichkeit, einen Verantwortlichen für das Debakel jenseits politischer
Parteien an sich zu benennen: ein Establishment, das seine Autorität
willfährig an den Markt verkauft hatte.
Für
einige US-Demokraten und Anhänger der Labour-Partei in Großbritannien
war dies eine geradezu groteske Prinzipienverletzung. Bill Clinton und
Tony Blair, so hieß es, hätten die traditionelle Verpflichtung der
Linken, insbesondere gegenüber den Arbeitern, aufgegeben. Stattdessen
wandten sie sich nun einer globalen Finanzelite zu, die sich wie im
Selbstbedienungsladen bereichert hatte. So legten sie den Grundstein für
ein verheerendes Anwachsen der Ungleichheit.
Eine Brille, mit der man die Welt sehen kann
In
den vergangenen Jahren – in denen die Debatte mit zunehmend
schmutzigeren Mitteln geführt wurde – ist der Begriff Neoliberalismus zu
einer rhetorischen Waffe geworden, einer Möglichkeit für jeden links
der Mitte, jene anzuschwärzen, die sich auch nur ein bisschen rechts von
ihm bewegten. Es ist kein Wunder, dass die politische Mitte die
Zuschreibung „neoliberal“ als bedeutungslose Beleidigung empfindet: sie
ist es, auf die sie am ehesten zutrifft. Aber Neoliberalismus sollte für
Linke mehr sein als eine bequeme – wenn auch gerechtfertigte –
Verhöhnung des politischen Gegners. Auf gewisse Weise ist er auch eine
Brille, ein Art, die Welt zu sehen.
Blickt
man durch ihre Linsen, sieht man klarer, wie die von Thatcher und Reagan
ach so verehrten politischen Vordenker dazu beigetragen haben, das
Ideal der Gesellschaft als allumfassenden Markt – und nicht etwa als
Polis, einen zivilgesellschaftlichen Bereich oder eine Art Familie – zu
prägen. Es ist ein Bild vom Menschen als Gewinn-und-Verlust-Rechner –
und eben nicht als Inhaber unveräußerlicher Rechte und Pflichten. Ziel
war freilich, den Wohlfahrtsstaat abzubauen, jede Verpflichtung zur
Vollbeschäftigung über Bord zu werfen, Steuern immer weiter zu senken
und fleißig zu deregulieren. Aber „Neoliberalismus“ ist weit mehr als
eine klassische rechte Wunschliste. Er war und ist ein Werkzeug, die
gesellschaftliche Realität zu ordnen und unseren Status als Individuen
neu zu denken.
Ein weiterer Blick zeigt,
dass der freie Markt – genau wie der Wohlfahrtsstaat – eine menschliche
Erfindung ist. Man erkennt, wie allgegenwärtig wir heute dazu gedrängt
werden, uns als Individuen zu verstehen, die für ihr Glück
eigenverantwortlich sind. Wie selbstverständlich uns mit auf den Weg
gegeben wird, dass wir miteinander konkurrieren und uns anpassen müssen.
Man erkennt ebenfalls das Ausmaß, in dem eine Logik, die sich früher
auf die vereinfachte Darstellung von Warenmärkten auf einer Tafel
beschränkte (Wettbewerb, perfekte Information, rationales Verhalten),
mittlerweile auf die gesamte Gesellschaft angewandt wird – bis sie unser
ganzes Leben beherrscht. „Verkauf dich immer richtig“ ist Leitspruch
der Selbstverwirklichung geworden.
Der Freie Markt – blutleerer Inbegriff der Effizienz
„Neoliberalismus“
ist also nicht einfach eine Bezeichnung für marktorientierte Politik
oder den nächsten faulen Kompromiss mit dem Finanzkapitalismus, den
abgehalfterte sozialdemokratische Parteien eingehen. Der Begriff
bezeichnet die Prämisse, die sich still und leise in unser Leben
geschlichen hat und bestimmt, was wir tun und glauben: dass nämlich
Wettbewerb das einzig legitime Organisationsprinzip menschlichen
Handelns ist.
Keine Sekunde nachdem der IWF
den Neoliberalismus als Realität zertifiziert und so die
Scheinheiligkeit des Marktes entlarvt hatte, standen Populisten und
Authoritaristen schon auf der Matte. In den USA verlor Hillary Clinton,
die Archetypin einer Neoliberalen, die Wahl – gegen einen Mann, der
gerade genug wusste, um vorgeben zu können, den Freihandel zu hassen.
Taugt also die Brille des Neoliberalismus nicht mehr? Kann sie uns noch
irgendwie helfen zu verstehen, was in der Politik schief läuft? Gegen
die Kräfte der Globalisierung wird plumper Nationalismus wieder in
Stellung gebracht – und das auf krudeste Weise. Was könnten der
militante Provinzialismus von Brexit-Großbritannien und das
Trump-Amerika mit neoliberaler Rationalität zu tun haben? Welche
Verbindung könnte zwischen dem Präsidenten – einem freilaufenden Irren –
und dem blutleeren Inbegriff der Effizienz – besser bekannt als freier
Markt – bestehen?
Nicht nur, dass der freie
Markt bloß eine Handvoll Gewinner und im Gegensatz dazu eine Heerschar
an Verlierern produziert – und sich diese Verlierer auf Rache sinnend
dem Brexit und Trump zugewandt haben. Von Beginn an gab es auch eine
vorprogrammierte Beziehung zwischen dem utopischen Ideal des freien
Marktes und der dystopischen Gegenwart, in der wir uns heute befinden;
zwischen dem Markt als einzigem Wertgeber und Freiheitswächter und dem
aktuellen Abstieg hin zum Postfaktischen und Illiberalismus.
Die Möglichkeit, eine neue Welt zu erfinden
Will
man die stagnierende Debatte über Neoliberalismus vorwärtsbringen, muss
man damit anfangen, das Ausmaß seiner kumulativen Wirkung auf uns alle,
unabhängig unseres politischen Standpunkts, ernst zu nehmen. Und das
erfordert eine Rückkehr zu seinen Ursprüngen, die nichts mit Bill oder
Hillary Clinton zu tun haben. Es gab einmal eine Gruppe von Leuten, die
sich als Neoliberale bezeichneten. Sie taten dies mit Stolz und ihr
Ansporn war nichts weniger als eine komplette Revolution des Denkens.
Der Prominenteste von ihnen, Friedrich Hayek,
hätte nicht damit gerechnet, dass er eine Position auf dem politischen
Spektrum abstecken, Entschuldigungen für die Superreichen suchen oder an
den Ecken der Mikroökonomie herumschrauben würde.
Er
glaubte, er würde das Problem der Moderne lösen: das Problem des
objektiven Wissens. Für Hayek ermöglichte der Markt nicht nur den Handel
mit Gütern und Dienstleistungen, er offenbarte Wahrheit. Wie konnte
Hayeks Zielsetzung in ihr Gegenteil umschlagen – die
bewusstseinsverändernde Möglichkeit, dass – dank unserer gedankenlosen
Verehrung des freien Marktes – die Wahrheit komplett aus dem
öffentlichen Leben vertrieben werden könnte?
Als
Friedrich Hayek 1936 die Idee kam, wusste er mit der Überzeugung einer
„plötzlichen Erleuchtung“, dass er auf etwas Neues gestoßen war. „Wie
kann die Kombination aus Einzelteilen an Wissen, die in verschiedenen
Köpfen existieren“, schrieb er, „zu Ergebnissen führen, die – wenn man
sie gezielt herbeiführen wollte, ein Wissen auf übergeordneter Ebene
erfordern würde, über das kein Einzelner verfügen kann?“
Hier
ging es nicht um eine technische Frage von Zinsraten oder
Deflationskrisen, nicht um eine reaktionäre Polemik gegen Kollektivismus
oder den Wohlfahrtsstaat, sondern um die Möglichkeit, eine neue Welt zu
erfinden. Hayek erkannte, dass der Markt als eine Art Bewusstsein
verstanden werden konnte.
Foto: Hulton Archive/Getty Images
Neoliberalismus ist Adam Smith ohne Bedenken
Adam Smiths „unsichtbare Hand“
hatte uns bereits das moderne Konzept des Markts eröffnet – als eine
autonome Sphäre für menschliches Handeln und daher potenziell als
Objekt, das man wissenschaftlich durchdringen kann. Aber Smith war bis
zum Ende seines Lebens ein Moralist des 18. Jahrhunderts. Er dachte, der
Markt sei nur im Licht individueller Tugend zu rechtfertigen, und seine
Sorge war, dass eine Gesellschaft, die durch nichts als vollständiges
Eigeninteresse regiert wird, überhaupt keine Gesellschaft ist.
Neoliberalismus ist Adam Smith ohne Bedenken.
Dass
Hayek als Ahnherr des Neoliberalismus gilt – einer Denkschule, die
alles auf die Wirtschaft reduziert – ist angesichts der Tatsache, dass
er ein solch mittelmäßiger Ökonom war, ein wenig paradox. Eigentlich war
er nichts weiter als ein junger, unbedeutender Wiener Technokrat, als
er an die London School of Economics berufen wurde, um mit John Maynard Keynes in Cambridge zu wetteifern oder dessen aufsteigenden Stern möglicherweise sogar ein wenig in den Schatten zu stellen.
Der Plan ging nach hinten los, denn Hayek konnte Keynes nicht im Geringsten das Wasser reichen. Keynes’ General Theory of Employment, Interest and Money,
veröffentlicht 1936, wurde als Meisterwerk gefeiert und dominierte die
öffentliche Debatte, insbesondere unter jungen, in der Ausbildung
befindlichen englischen Ökonomen, für die der brillante, schneidige und
sozial gut vernetzte Keynes auch ein gewisses Schönheitsideal
darstellte. Am Ende des Zweiten Weltkrieges hatten sich viele prominente
Anhänger der Theorie des freien Marktes Keynes Denkweise angeschlossen
und räumten ein, dass dem Staat bei der Führung einer modernen
Volkswirtschaft möglicherweise doch eine Rolle zukommen könne. Die
ursprüngliche Aufregung über Hayek war verfolgen. Seine befremdliche
Vorstellung, man könne eine Wirtschaftskrise überwinden, indem man
einfach überhaupt nichts unternehme, war sowohl theoretisch als auch
praktisch diskreditiert. Später räumte er selbst ein, er würde sich
wünschen, die Arbeiten, in denen er Keynes kritisiert hatte, würden
vergessen werden.
Hayeks Denken durchdringt die Welt
Hayek
gab eine seltsame Figur ab: ein hochaufgeschossener, aufrechter
Professor mit breitem Akzent, der einen hochgeschnittenen Tweed trug und
darauf bestand, mit „von Hayek“ angesprochen zu werden, aber hinter
seinem Rücken mit dem Spitznamen „Mr Fluctooations“ bedacht wurde. Im
Jahr 1936 war er ein Wissenschaftler ohne Portfolio und ohne absehbare
Zukunft. Und dennoch leben wir heute in Hayeks Welt, so wie wir einst in
der von Keynes lebten. Der Clinton-Berater und ehemalige Präsident der
Harvard University, Lawrence Summers, sagte einmal, Hayeks Konzeption
des Preissystems als kollektiver Verstand sei „eine so durchdringende
und originelle Idee wie sie die Mikroökonomie im 20. Jahrhundert
hervorgebracht“ habe und „die wichtigste Einzelheit, die man heute in
einem Kurs über Ökonomie lernen“ könne. Und das ist sogar noch
untertrieben. Keynes hat den Kalten Krieg weder hervorgerufen noch
vorhergesagt, doch sein Denken durchdrang jeden Aspekt der Welt des
Kalten Krieges. Und in gleicher Weise ist Hayeks Denken in jeden Aspekt
der Welt nach 1989 eingedrungen.
Hayeks
Weltsicht war absolut: eine Art, die gesamte Realität nach dem Modell
der wirtschaftlichen Konkurrenz zu gestalten. Das beginnt bei der
Annahme, dass fast die gesamte – wenn nicht die gesamte – menschliche
Aktivität eine Form der ökonomischen Berechnung darstelle und somit an
die übergeordneten Konzepte von Wohlstand, Wert, Tausch, Kosten – und
insbesondere dem Preis angepasst werden könne. Preise sind ein Mittel,
um knappe Ressourcen effizient bereitzustellen, entsprechend dem Bedarf
und dem Nutzen, wie sie durch Angebot und Nachfrage geregelt werden.
Damit das Preissystem effizient funktioniert, müssen die Märkte frei und
wettbewerbsorientiert sein. Seitdem Smith sich die Wirtschaft als
autonome Sphäre vorgestellt hat, existiert die Möglichkeit, dass der
Markt nicht nur ein Teil der Gesellschaft sein könnte, sondern die
Gesellschaft als Ganzes. In solch einer Gesellschaft müssen Männer und
Frauen nur ihrem Eigeninteresse folgen und um rare Güter konkurrieren.
Durch Wettbewerb „wird es möglich“, wie der Soziologe Will Davies schreibt, „festzustellen, wer und was wertvoll ist“.
Was
jeder, der mit der Geschichte vertraut ist, als notwendiges Bollwerk
gegen Tyrannei und Ausbeutung begreift – eine prosperierende
Mittelschicht und Zivilgesellschaft; freie Institutionen; allgemeines
Wahlrecht; Gedanken-, Versammlungs-, Religions- und Pressefreiheit; die
grundsätzliche Anerkennung der menschlichen Würde – nahm in Hayeks
Gedanken keinen besonderen Platz ein. Er baute in den Neoliberalismus
die Annahme ein, dass der Markt allen nötigen Schutz gegen die einzige
wirkliche politische Gefahr bietet: den Totalitarismus. Um diesen zu
verhindern, muss der Staat Hayek zufolge nichts weiter tun, als den
Markt frei zu halten.
Der letzte Punkt steht
für das „Neo“ in Neoliberalismus und stellt eine entscheidende
Veränderung des älteren Glaubens an einen freien Markt und einen
möglichst schlanken Staat dar, der als „klassischer Liberalismus“
bekannt ist. Im klassischen Liberalismus wollten die Kaufleute
lediglich, dass der Staat sie in Ruhe lässt – laissez-nous faire. Der
Neoliberalismus hingegen vertritt die Auffassung, der Staat müsse aktiv
an der Organisation einer Marktwirtschaft mitwirken. Die Bedingungen,
die einen freien Markt zulassen, müssen politisch gewonnen und der Staat
so umgestaltet werden, dass er den Bestand des freien Marktes dauerhaft
gewährleistet.
Schmollend in Cambridge
Das
ist aber noch nicht alles: Jeder Aspekt demokratischer Politik, von der
Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger bis hin zu den
Entscheidungen der Politiker, muss einer rein ökonomischen Analyse
unterworfen werden. Der Gesetzgeber ist dazu verpflichtet, die als
natürlich unterstellten Handlungen auf dem Marktplatz nicht zu stören
und darf sie auf keinen Fall verzerren. So stellt der Staat idealerweise
einen festen, neutralen und rechtlich umfassenden Rahmen bereit,
innerhalb dessen die Marktkräfte spontan wirken können. Die bewusste
Lenkung durch eine Regierung ist nie dem „automatischen Mechanismus der
Anpassung“ vorzuziehen – d. h. dem Preissystem, das nicht nur effizient
ist, sondern auch die Freiheit vergrößert oder die Möglichkeit für
Männer und Frauen, bezüglich ihres Lebens freie Entscheidungen zu
treffen.
Während Keynes zwischen London und
Washington hin- und her flog, um die Nachkriegsordnung zu gestalten, saß
Hayek schmollend in Cambridge. Dorthin war er während der Evakuierungen
des Krieges geschickt worden und beklagte sich darüber, von
„Ausländern“ umgeben zu sein, an „Orientalen aller Art“ und „Europäern
praktisch aller Nationalitäten“ bestehe kein Mangel, doch nur sehr
wenige von ihnen seien „wirklich intelligent“.
Hayek
saß in England fest, ohne Einfluss oder Ansehen, und konnte sich nur
mit seiner Idee trösten, einer Idee so groß, dass sie Keynes und allen
anderen Intellektuellen eines Tages den Boden unter den Füßen wegziehen
würde. Sich selbst überlassen funktioniere das Preissystem wie eine Art
Bewusstsein – und nicht nur irgendein Bewusstsein, sondern ein
allwissendes Bewusstsein: der Markt berechne, was Individuen nicht zu
fassen vermögen. Der amerikanische Journalist Walter Lippmann wandte
sich als intellektueller Mitstreiter in einem Brief an Hayek: „Kein
menschlicher Geist hat je das gesamte Schema der Gesellschaft verstanden
… Am ehesten kann ein Geist seine eigene Version dieses Schemas
verstehen, etwas wesentlich Dünneres, das zur Realität in etwa in
demselben Verhältnis steht wie eine Silhouette zu einer Person.“
Das
ist eine große erkenntnistheoretische Behauptung – dass der Markt eine
Form des Wissens darstelle, die die Möglichkeiten eines jeden
individuellen Verstandes radikal übersteige. Solch ein Markt ist weniger
eine menschliche Erfindung, die manipuliert werden kann wie jede
andere, als vielmehr eine Kraft, die studiert und beschwichtigt wird.
Ökonomie ist keine Technik mehr – wofür Keynes sie hielt –, mit der man
erstrebenswerte gesellschaftliche Ziele wie Wachstum oder
Währungsstabilität erreicht. Das einzige gesellschaftliche Ziel besteht
im Fortbestand des Marktes. In seiner Allwissenheit konstituiert der
Markt die einzig legitime Form von Wissen, mit dem verglichen alle
anderen Formen der Reflexion unvollständig sind, im doppelten Sinne: Sie
erfassen nur ein Bruchstück des Ganzen und stehen immer im Dienste
eines Partialinteresses. Unsere individuellen Werte sind immer
persönlich oder reine Meinungen; kollektiv konvertiert der Markt sie in
Preise oder objektive Tatsachen.
„Sie ist so wunderbar“
Nachdem
er bei der London School of Economics ausgeschieden war, hatte Hayek
nie wieder eine dauerhafte Anstellung, die nicht von privaten Geldgebern
finanziert worden wäre. Selbst seine konservativen Kollegen an der
University of Chicago – dem weltweiten Epizentrum für liberalistischen
Widerspruch in den 1950er Jahren – betrachteten Hayek als ein
reaktionäres Sprachrohr, einen „stockkonservativen Mann“ mit einem
„stockkonservativen Sponsor“, wie einer es einmal formulierte. Als ihn
1972 ein Freund in Salzburg besuchte, wo er mittlerweile lebte, fand er
einen älteren Herrn, der sich in Selbstmitleid erging und glaubte, sein
Lebenswerk sei vergebens gewesen. Niemand kümmerte sich um das, was er
geschrieben hatte.
Es gab allerdings
Zeichen der Hoffnung: Hayek war Barry Goldwaters politischer
Lieblingsphilosoph und angeblich schätzte ihn sogar Ronald Reagan sehr.
Und dann war da Margaret Thatcher. Gegenüber jedem, der es hören wollte,
schwärmte sie von Hayek und versprach, seine Philosophie des freien
Marktes mit einem Revival viktorianischer Werte zu vereinen: Familie,
Gemeinschaft, harte Arbeit.
Hayek traf 1975
privat auf Thatcher, in einem Augenblick, in dem sie, gerade zur
Oppositionsführerin im britischen Unterhaus ernannt, sich darauf
vorbereitete, seine große Idee in die Tat umzusetzen. Sie hockten 30
Minuten im Institute for Economic Affairs in der Londoner Lord North
Street zusammen. Danach fragte ein Mitarbeiter Thatchers Hayek besorgt,
was er denke. Was sollte er sagen? Zum ersten Mal in vierzig Jahren
spiegelte die Macht Friedrich von Hayek das Bild zurück, das er selbst
von sich hatte – das eines Mannes, der Keynes besiegen und die Welt
verändern könnte.
Er antwortete: „Sie ist so wunderbar.“
Foto: Keystone/Getty Images
Die ganze Gesellschaft als Markt
Hayeks
große Idee ist eigentlich gar keine großartige Idee – solange man sie
nicht gehörig aufbläst. Organische, spontane, elegante Prozesse die, wie
eine Million Finger auf einem Ouija-Brett, koordinieren, um etwas zu
schaffen, was ansonsten ungeplant wäre. Angewandt auf einen aktuellen
Markt – einen für Schweinebäuche oder Getreide-Futures – handelt es sich
bei dieser Beschreibung um wenig mehr als eine Binsenweisheit. Sie kann
erweitert werden, um zu beschreiben, wie verschiedene Märkte, in Form
von Waren und Arbeit und sogar von Geld selbst jenen Teil der
Gesellschaft bilden, der als „die Wirtschaft“ bekannt ist. Das ist
weniger banal, aber noch immer inkonsequent. Ein Keynesianer akzeptiert
diese Beschreibung gern. Was aber, wenn wir es einen Schritt weiter
aufblasen? Was, wenn wir unterstellen, die ganze Gesellschaft sei eine
Art von Markt?
Je mehr Hayeks Idee sich
ausweitet, desto reaktionärer wird sie, je mehr versteckt sie sich
hinter der Behauptung ihrer wissenschaftlichen Neutralität – und desto
mehr erlaubt es der Ökonomie, sich mit dem intellektuellen Trend zu
verbinden, der im Westen seit dem 17. Jahrhundert prägend ist. Der
Aufstieg der modernen Wissenschaft hat zu einem Problem geführt: Wenn
die Welt vollständig Naturgesetzen unterworfen ist, was bedeutet es
dann, Mensch zu sein? Ist ein menschliches Wesen einfach ein Objekt in
der Welt, wie jedes andere auch? Es scheint keine Möglichkeit zu geben,
die subjektive, innere Perspektive des Menschen in die Natur zu
integrieren, wie die Wissenschaft sie versteht – als etwas Objektives,
dessen Gesetzmäßigkeiten wir durch Beobachtung ergründen.
Alles
an der politischen Nachkriegskultur kam John Maynard Keynes und einer
erweiterten Rolle des Staates bei der Führung der Wirtschaft entgegen.
Doch alles an der akademischen Nachkriegskultur begünstigte Hayeks Große
Idee. Vor dem Krieg hatte selbst der konservativste Ökonom den Markt
als ein Mittel zum Zweck betrachtet, der effizienten Verteilung knapper
Güter. Seit den Zeiten Adam Smiths Mitte des 17. Jahrhunderts und bis
hin zu den Gründungsvätern der Chicago School
in den Nachkriegsjahren war der Glaube allgemein verbreitet, dass die
ultimativen Zwecke der Gesellschaft und des Lebens in der
nicht-ökonomischen Sphäre angesiedelt sind.
Dieser
Weltsicht zufolge werden Fragen nach der Wertigkeit politisch und
demokratisch beantwortet, nicht ökonomisch – durch moralische Reflexion
und öffentliche Debatten. Der klassisch-moderne Ausdruck für diese
Auffassung geht auf den Essay Ethics and the Economic von Frank
Knight aus dem Jahr 1922 zurück, der zwei Jahrzehnte vor Hayek nach
Chicago gekommen war. „Die rationale ökonomische Kritik von Werten führt
zu Ergebnissen, die dem gesunden Menschenverstand widerstreben”,
schreibt Knight. „Der homo oeconomicus ist das egoistische,
rücksichtslose Objekt, das wir moralisch verurteilen.“
Von der hoffnungslosen menschlichen Beschränktheit zur majestätischen Objektivität der Wissenschaft
Ökonomen
hatten seit 200 Jahren mit der Frage gerungen, wie sie die Werte
begründen sollten, auf denen eine ansonsten durch und durch kommerzielle
Gesellschaft jenseits des bloßen Egoismus und der Berechnung
organisiert ist. Knight und seine Kollegen Henry Simons und Jacob Viner
verweigerten sich Franklin D Roosevelt und den Markt-Interventionen des
New Deal. Sie etablierten die University of Chicago als die rigorose
intellektuelle Heimat der Ökonomie des freien Marktes, die sie bis heute
geblieben ist. Simons, Viner und Knight begannen ihre Karrieren jedoch
alle, bevor das konkurrenzlose Prestige der Atomphysik enorme Geldsummen
in das Universitätssystem lockte und den “exakten“ Wissenschaften in
der Nachkriegszeit zu einem Boom verhalf. Sie beteten weder Gleichungen
noch Modelle an, sondern machten sich über nicht-wissenschaftliche
Fragen Gedanken. Am ausdrücklichsten dachten sie über Fragen des Wertes
nach, bei denen der Wert völlig vom Preis unterschieden war.
Simons,
Viner und Knight waren nicht nur weniger dogmatisch als Hayek, oder
eher bereit, dem Staat zu verzeihen, dass er Steuern erhebt und sie
wieder ausgibt. Hayek war ihnen intellektuell nicht überlegen. Aber sie
erkannten als erstes Prinzip an, dass die Gesellschaft nicht dasselbe
ist wie der Markt und Preis nicht dasselbe ist wie Wert.
Hayek
war derjenige, der uns zeigte, wie wir von der hoffnungslosen
menschlichen Beschränktheit zur majestätischen Objektivität der
Wissenschaft gelangen. Hayeks große Idee fungiert als Verbindungsglied
zwischen unserer subjektiven menschlichen Natur und der Natur selbst.
Dabei stellt sie jeden Wert, der nicht als Preis ausgedrückt werden kann
– als Urteil des Marktes – auf die gleiche unsichere Basis, macht sie
zu nichts anderem als einer bloßen Meinung, Vorliebe, Folklore oder
Aberglauben.
Mehr als jeder andere, selbst
als Hayek selbst, war es der große Chicagoer Nachkriegsökonom Milton
Friedman, der dabei half, Regierungen und Politiker von der Wirkmacht
von Hayeks großer Idee zu überzeugen. Zuvor brach er allerdings mit
einer zwei Jahrhunderte alten Tradition und erklärte, die Ökonomie sei
„im Prinzip unabhängig von jeder ethischen Position oder normativem
Urteil“, „eine ‘objektive’ Wissenschaft, in genau dem Sinn wie alle
Naturwissenschaften“. Traditionelle, normative Werte betrachtete er als
mangelhaft, bei ihnen handelte es sich um „Unterschiede, um die die
Menschen letzten Endes nur kämpfen können“. Mit anderen Worten: Es gibt
den Markt und es gibt den Relativismus.
Eine aufgeblasene Idee
Märkte
mögen menschliche Reproduktionen natürlicher Systeme sein, und wie das
Universum selbst, hat niemand sie erschaffen, und sie haben keinen Wert.
Doch Hayeks Idee auf jeden Aspekt unseres Lebens anzuwenden, negiert
das, was uns ausmacht. Sie tritt das, was am Menschen am menschlichsten
ist – unser Bewusstsein und unser Wille – an Algorithmen und Märkte ab
und lässt uns nachahmend und zombiehaft zurück, die geschrumpften
Idealisierungen ökonomischer Modelle. Hayeks Idee aufzublasen und das
Preissystem radikal zu etwas sozial Allwissendem aufzuwerten, bedeutet,
die Bedeutung unserer individuellen Fähigkeit zur Vernunft radikal
abzuwerten – unsere Fähigkeit, unsere Taten und Vorstellungen zu
begründen und zu bewerten.
Dies führt dazu,
dass die öffentliche Sphäre – der Raum, in dem wir Gründe anführen und
die Begründungen anderer infrage stellen – aufhört, ein Raum zu sein, in
dem debattiert wird, und zu einem Markt von Klicks, Likes und Retweets
verkommt. Das Internet ist die persönliche Vorliebe, vervielfältigt
durch Algorithmen – ein pseudo-öffentlicher Raum, der lediglich die
Stimme widerhallen lässt, die sich bereits in unserem Kopf befindet.
Anstatt eines Raums, in dem diskutiert wird, in dem wir – als
Gesellschaft – einen Weg zum Konsens suchen, haben wir es mit einem
Apparat der gegenseitigen Affirmation zu tun, der banal als „Marktplatz
der Ideen“ bezeichnet wird. Was aussieht, als wäre es etwas Öffentliches
und Übersichtliches, ist in Wahrheit nur die Verlängerung unserer
eigenen, bereits bestehenden Meinungen und Ansichten, während die
Autorität der Institutionen und Experten durch die aggregierte Logik von
Big Data ersetzt wurde. Wenn wir uns der Welt durch eine Suchmaschine
nähern, haben die Ergebnisse eine Reihenfolge, wie der Google-Gründer es
ausdrückt, „rekursiv” – durch eine unendliche Zahl individueller
Nutzer, die wie ein Markt funktionieren, unablässig und in Echtzeit.
Wenn
man die unglaublich praktischen Aspekte der digitalen Technologie
einmal beiseite lässt, unterschied eine frühere und humanistischere
Tradition, die jahrhundertelang die dominierende war, stets zwischen
unseren Geschmäckern und Vorlieben – die Begierden, die Ausdruck im
Markt finden – und unserer Fähigkeit, über diese Vorlieben nachzudenken,
was es uns erlaubt, Werte zu begründen und zum Ausdruck zu bringen.
„Ein
Geschmack ist nahezu definiert als eine Vorliebe, über die man nicht
diskutiert“, hat der Philosoph und Ökonom Albert O Hirschman einmal
geschrieben. „Ein Geschmack, über den man mit anderen oder sich selbst
streitet, hört dadurch auf, ein Geschmack zu sein – und verwandelt sich
in einen Wert.“
Foto: Scott Olson/Getty Images
Wir entscheiden, wer und was wir sind
Hirschman
machte einen Unterschied zwischen jenem Teil des eigenen Selbst, das
als Konsument agiert, und dem, der Gründe bereitstellt. Der Markt
spiegelt wider, was Hirschman die Vorlieben nannte, die „die Akteure
offenbaren, wenn sie Waren und Dienstleistungen erstehen“. Doch, so
Hirschman weiter, verfügen Männer und Frauen gleichzeitig über die
„Fähigkeit, von ihren ‘offenbarten’ Bedürfnissen, ihrem Willen und ihren
Vorlieben zurückzutreten, um sich zu fragen, ob sie wirklich wollen,
was sie sich da wünschen und diese Vorlieben wirklich lieben“. Wir
formen unser Selbst und unsere Identität auf der Grundlage dieser
Fähigkeit zur Reflexion. Die Anwendung der individuellen reflexiven
Fähigkeiten nennt man Verstand, die kollektive Anwendung dieser
Fähigkeiten Vernunft; die Anwendung von Vernunft zur Formulierung von
Gesetzen und politischen Auseinandersetzung heißt Demokratie. Wenn wir
Gründe für unsere Taten und Überzeugungen anführen, bringen wir uns
selbst hervor: individuell und kollektiv, wir entscheiden, wer und was
wir sind.
Der Logik von Hayeks großer Idee
zufolge sind diese Ausdrucksformen menschlicher Subjektivität
bedeutungslos, solange sie nicht durch den Markt ratifiziert wurden –
wie Friedman sagte, sie sind nichts außer Relativismus, jede so gut wie
irgendeine andere. Wenn die einzig objektive Wahrheit vom Markt bestimmt
wird, haben alle anderen Werte den Status bloßer Meinungen, alles
andere ist relativistische heiße Luft. Doch Friedmans „Relativismus“ ist
ein Vorwurf, der gegen jede Behauptung gerichtet werden kann, die auf
der menschlichen Vernunft basiert. Es ist eine unsinnige Beleidigung, da
alle humanistischen Zwecke auf eine Art „relativ“ sind, wie die
Wissenschaften dies nicht sind. Sie sind relativ zu dem privaten
Zustand, ein Bewusstsein zu besitzen, und der allgemeinen und
öffentlichen Notwendigkeit, nachzudenken und zu verstehen, selbst wenn
wir keinen wissenschaftlichen Beweis erwarten können. Wenn unsere
Debatten nicht mehr länger durch die Erörterung von Gründen gelöst
werden, dann bestimmen die Launen der Macht über das Ergebnis.
An
dieser Stelle treffen der Triumph des Neoliberalismus und der
politische Albtraum, in dem wir heute leben, zusammen. Hayeks großes
Projekt, wie er es zuerst in den 1930ern und 1940ern verstand, war
ausdrücklich darauf ausgerichtet, einen Rückfall ins politische Chaos
und den Faschismus zu verhindern. Doch die große Idee war in
Wirklichkeit stets dieses Gräuel, das darauf wartete, einzutreten. Sie
ging, von Anfang an, schwanger mit der Sache, die sie angeblich
verhindern wollte. Wenn man die Gesellschaft nur noch als gigantischen
Markt begreift, führt das zu einem öffentlichen Leben, das auf Gezänk
über bloße Meinungen verkommt, bis die Menschen sich schließlich einem
starken Mann zuwenden, als vermeintlich letztem Ausweg, ihre ansonsten
scheinbar unlösbaren Probleme zu bewältigen.
Ein zweifelhaftes Paradies
1989
klopfte ein US-amerikanischer Reporter bei dem mittlerweile 90-jährigen
Hayek an die Tür, der inzwischen in einer Wohnung in der Freiburger
Urachstrasse lebte. Die beiden Männer setzten sich in ein sonniges
Zimmer, dessen Fenster zu den Bergen hinausgingen, und Hayek, der sich
von einer Lungenentzündung erholte, zog sich während ihres Gesprächs
eine Decke über die Beine.
Dies war nicht
mehr länger der Mann, der sich einst darin gesuhlt hatte, dass er gegen
Keynes das Nachsehen hatte. Thatcher hatte ihm erst in einem Ton von
millenarischem Triumph geschrieben. Nichts von dem, was sie und Reagan
erreicht hätten, „wäre möglich gewesen, ohne die Werte und
Überzeugungen, die uns auf den rechten Weg gebracht und uns die richtige
Richtung gewiesen haben“. Hayek freute sich nun über das, was er
geleistet hatte, und war optimistisch, was die Zukunft des Kapitalismus
angeht. Der Journalist schrieb: „Insbesondere sieht Hayek eine größere
Wertschätzung für den Markt unter der jüngeren Generation. Heute gehen
arbeitslose Jugendliche in Algier und Rangun nicht für einen zentral
geplanten Wohlfahrtsstaat auf die Straße, sondern für Möglichkeiten: die
Freiheit zu kaufen und zu verkaufen – Jeans, Autos, was auch immer – zu
den Preisen, die der Markt bestimmt.“
30
Jahre später leben wir in einem Paradies, das auf Hayeks großer Idee
errichtet wurde. Je mehr die Welt so eingerichtet werden kann, dass sie
einem idealen Markt ähnelt, der lediglich vom perfekten Wettbewerb
regiert wird, desto mehr gesetzmäßiger und „wissenschaftlicher“ wird das
menschliche Verhalten insgesamt. Jeden Tag streben wir danach – das
muss uns niemand mehr sagen – wie vereinzelte, diskrete, anonyme Käufer
und Verkäufer; und jeden Tag behandeln wir den Wunsch, mehr zu sein als
nur Konsumenten, als Nostalgie oder Elitismus.
Was
als neue Form intellektueller Autorität begann – verwurzelt in einer
zutiefst unpolitischen Weltsicht – verwandelte sich schnell in eine
ultra-reaktionäre Politik. Was nicht quantifizierbar ist, darf nicht
real sein, sagt der Ökonom. Und wie misst man die Vorteile der
Grundwerte der Aufklärung – namentlich kritisches Denken, persönliche
Autonomie und demokratisches Selbstbestimmung? Wenn wir die Vernunft
verwerfen, weil sie immer an Subjektivität gebunden bleibt, und die
Wissenschaft zum einzigen Vermittler sowohl des Realen als auch des
Wahren machen, schaffen wir eine Lücke, die von der Pseudowissenschaft
dankend gefüllt wird.
Die Autorität der
Professorin, des Reformers, der Gesetzgeberin oder des Juristen erwächst
diesen nicht aus dem Markt, sondern aus humanistischen Werten wie
Gemeinschaftsgefühl, Bewusstsein oder dem Wunsch nach Gerechtigkeit.
Lange bevor die Trump-Regierung damit begann, sie herabzusetzen, hatten
sie an Strahlkraft verloren. Sicherlich besteht eine Verbindung zwischen
ihrer wachsenden Irrelevanz und der Wahl Trumps, einer Kreatur, die
allein von ihren Launen regiert wird, einem Mann, der weder Prinzipien
oder Überzeugungen braucht, um mit sich im Reinen zu sein. Ein Mann ohne
Bewusstsein, der die totale Abwesenheit der Vernunft repräsentiert,
regiert die Welt – oder ruiniert sie zumindest. Als erfahrener
Manhattaner Immobilenhai weiß er aber immerhin, dass seine Sünden erst
noch auf dem Markt bestraft werden müssen.