Das Böse lauert überall
Amerikas
Vorstadtstrassen sind wie leer gefegt, weil Eltern ihre Kinder nicht
mehr allein vor die Tür lassen, aus Angst, verhaftet zu werden.
Vertrauen ist das grösste Tabu, Paranoia oberste Pflicht. In den USA
grassiert die Furcht vor allem und jedem.
Das Magazin N°31/32 – 6. August 2016
In den
ersten Wochen fällt es einem gar nicht auf. Wer neu aus Europa in eine
durchschnittliche amerikanische Vorstadt zieht, der ist zunächst von der
geballten Ladung Idylle erschlagen, den netten Holzveranden, den
freundlichen Nachbarn, Jack und Cindy, die immerzu lächeln und Kuchen
vorbeibringen und am 4. Juli ihren Garten mit amerikanischen Fahnen
schmücken. Es müssen erst ein paar Monate vergehen, bis man merkt, dass
hier etwas nicht stimmt. Noch aber kommt man nicht drauf, blickt dafür
immer öfter verstohlen aus dem Fenster, weil man etwas sucht, weil hier
einfach etwas fehlt. Nur: was denn? Bis einem endlich die Augen
aufgehen.
Bei mir dauerte das ungefähr ein Jahr.
Als ich an einem späten Nachmittag mit dem Auto durch unser Quartier
fuhr, vorbei an Vorgärten mit Rasensprinklern, vorbei an adretten
Backsteinhäusern mit Basketballkorb an der Garage, sah ich es plötzlich
ganz deutlich. Es war, als hätte ich auf einmal eines dieser
Vexierbilder entschlüsselt und das andere Bild entdeckt im Bild. Nicht
mehr den alten Mann mit Glatze und Bart, sondern die nackte Frau. In
diesem Moment brach die amerikanische Vorstadtidylle zusammen, denn ich
sah – Tschernobyl.
Alles war wie immer, Cindys Blumen
strahlten um die Wette, in der Luft lag der Geruch von gemähtem Gras
dividiert durch gegrilltes Fleisch, doch endlich erkannte ich, was hier
fehlt: Kinder. Keine Mädchen mit Zöpfen. Keine Jungs mit aufgeschlagenen
Knien. Keine Kreidezeichnungen am Boden, lachende Sonnen und
Marienkäfer auf zwei Beinen. Kein Geschrei zu hören, kein «18–19–20, ich
koommeeee». In der Vorstadt, in der wir wohnen, zwanzig Minuten vom
Weissen Haus entfernt, ist es so gespenstisch leer wie in einem
dieser Roland-Emmerich-Filme über die Postapokalypse.
Jeden Donnerstag kommt bei uns die
Müllabfuhr vorbei, was bedeutet, dass sämtliche Anwohner am
Mittwochabend ihren Müll an die Strasse stellen. Und wenn man heimlich
in ihre Säcke schaut, dann sieht man durchaus Spuren von Kinderleben,
blaue Legokartons, Cornflakes-Schachteln in XXL-Familiengrösse,
Babynahrung mit Bananengeschmack – allein die Kinder sieht man nie.
Man kennt das Klischee, das die
Anti-Amerikaner unter uns, und davon gibt es in der Schweiz ja einige,
immer wiederholen: Amerikaner würden ihre Kinder halt lieber vor den
Fernseher setzen, während wir unsere draussen im Dreck wühlen lassen.
Doch es ist, wie bei allen Klischees, komplexer.
Man kennt auch die Berichte über
Helikoptereltern, die ihre Kinder überwachen und in Watte packen, als
würden sie unter der Glasknochenkrankheit leiden. Doch auch hier ist der
elterliche Überprotektionismus nur ein Symptom eines tiefer liegenden
Phänomens, das nicht nur die Kindererziehung, sondern das ganze Land
bestimmt: Die Angst geht um in Amerika.
Und plötzlich ergibt vieles Sinn, was man
anfänglich als anders oder seltsam empfand: Warum man in der Schule
täglich ein Formular unterschreiben muss, bevor man seine Kinder abholt.
Warum auf Kindergeburtstagen nur die aufs Trampolin dürfen, deren
Eltern eine schriftliche Bewilligung einreichen. Warum auf den
Spielplätzen und in Parks, wo sich durchaus Kinder finden lassen, immer
so viele Erwachsene herumstehen, die bei Not eingreifen und bei
Streitereien schlichten. Warum die Liste mit möglichen Nebenwirkungen,
auch wenn es sich nur um Kindermückenspray handelt, so endlos lang ist.
Und warum man vor allem so selten Kinder sieht, die sich ohne Aufsicht
irgendwo aufhalten. Weder in Bussen noch im Wald oder vor dem
Supermarkt. Im Schwimmbad sowieso nicht.
Erotische Beziehung zur Angst
Keine Woche vergeht ohne neue Angst.
Angst vor Terror, vor Muslimen und Mexikanern; vor zu vielen Waffen oder
davor, keine Waffen mehr tragen zu dürfen; vor heimischen Zecken,
südamerikanischen Zika-Viren und Atombomben aus Nordkorea; vor dem
sozialen Abstieg, schlechten Schulnoten, hohen Cholesterinwerten und vor
Schneefällen, die sich zu «Monsterstürmen» auftürmen könnten, wie es im
vergangenen Winter im Fernsehen hiess. Worauf die Anwohner in meiner
Vorstadt sämtliche Supermärkte leer kauften und sich im Keller
Notunterkünfte einrichteten, als würden sie sich auch ein wenig drauf
freuen. Als dann nach ein paar Tagen doch nur harmlose Schneeflocken vom
Himmel fielen, die sich puderzuckrig auf die Vorgärten legten, da waren
unsere Nachbarn Jack und Cindy nicht etwa empört, weil man sie in die
Irre geführt hatte und sie sich umsonst Sorgen machten. Sie waren
erleichtert und froh, dass alles noch einmal gut ausging. Kinder beim
Schlitteln allerdings sah ich keine.
Dafür wurden in jenem Winter sämtliche Sitzbänke vor den Schulen in der Umgebung abgeschraubt, weil man nicht will, dass die Kinder nach dem Unterricht auf dem Schulhof spielen und
sich die Eltern auf den Bänken ausruhen – wie man das bei Bahnhöfen
macht, um die Penner zu vertreiben. So will man aus
Versicherungsgründen, dass sich Eltern wie Kinder ohne Umwege sofort
nach Hause begeben, es könnte ja sonst etwas passieren.
Es ist eine Unart dieser Tage, dass kein einziger Bericht
über die USA ohne Verweis auf Donald Trump auskommt. Doch hier muss der
Immobilienspekulant, der sich durch die Vorwahlen pöbelte und nun gegen
Hillary Clinton antritt, erwähnt sein, denn natürlich ist der Aufstieg
Trumps ohne Amerikas erotische Beziehung zur Angst nicht zu verstehen.
Die Angst ist ein Lustgewinn, deshalb wird sie zelebriert und gepflegt,
und sie ist der Kitt in der amerikanischen Gesellschaft.
Mehrmals schon liess Danielle Meitiv ihre Kinder Rafi, 11, und Dvora, 8, allein in den Park, was hier ähnliche Reaktionen auslöst, als hätte sie ihnen zum Geburtstag Zigaretten geschenkt.
Während Barack Obama seit acht Jahren
vorgibt, alles immer im Griff zu haben, schürt Trump Ängste, wo er nur
kann. «Wir sind ein Land der Verlierer geworden und werden verspottet»,
sagt er dauernd, worauf seine Anhänger johlen, als hätte er ihnen eine
Gehaltserhöhung versprochen. Die Furcht vor dem eigenen Niedergang entfacht gleichzeitig Begeisterung, weil sie zusammenhält:
Wir gegen die. Und wo kräftig mit Angst gedüngt wird, da gedeiht Hass,
das weiss man aus der europäischen Geschichte.
Nüsse sind verboten, Schokolade ist erlaubt
Die Angst um die Kinder ist aber vielleicht die intimste,
sie sagt viel aus über den Zustand dieses Landes und verunsichert eine
ganze Generation junger Eltern, die doch nur das Beste für ihre Kinder
wollen, aber bei all den Schauermärchen und ob all der Panikmache nicht
mehr wissen, was das Beste ist. Hinzu kommt, dass sie sich mit einer
Fülle von Gesetzen herumschlagen müssen, die von Staat zu Staat
variieren: Wer Kinder ohne Aufsicht auch nur für wenige Minuten im Auto
lässt, in einem Park oder nur schon zu Hause, wer fremden Schulmädchen
auf dem Spielplatz beim Klettern hilft und sie zufällig auch noch
berührt, läuft Gefahr, von Beamten der Child Protective Services (CPS)
ins Visier genommen zu werden, und das möchte niemand. C-P-S – diese
drei Buchstaben lassen amerikanischen Eltern das Blut in den Adern
gefrieren.
Dabei sind die USA doch das «land of the free»,
so dachte man jedenfalls, als man neu aus Europa herzog. Dass Eltern
alles andere als frei sind, merkt man, wenn man die Kinder zur Schule
anmeldet und sich durch die seitenlange Liste von Regeln kämpft: Die
Badekappe muss weiss sein, das Kind gegen Hepatitis geimpft und die
Lunchbox natürlich aus Plastik, sonst könnten sich die Kinder damit ja
noch die Nasen blutig schlagen. An Nüssen könnten sie sich verschlucken,
an Äpfeln die Zähne ausbeissen, Schokolade ist erlaubt.
Die ganze Verunsicherung führt ja nicht
nur zu dieser gespenstischen Leere in meinem Quartier und dem Umstand,
dass wir drei Tage lang alle Geschäfte nach weissen Badekappen
absuchten. Die Folgen sind weitreichender und über das ganze Land
verteilt. Wobei das nicht ganz stimmt. Kinder aus ärmeren Familien sind
durchaus auf der Strasse, in Schwarzenvierteln von D.C., Chicago oder
Baltimore etwa klettern sie ohne Aufsicht auf Gerüste und Bäume, weil
die Eltern keine Zeit haben, sich um sie zu kümmern. Weil sie arbeiten
und abends zu müde sind. Angst zu haben und teilzunehmen an der
nationalen Panik ist ein Privileg und gehört auf die Liste von Christian
Landers hervorragendem Blog: «Stuff White People Like».
Revolutionärin oder Rabenmutter
In Connecticut überhörte Maria Hasankolli eines Morgens im
November ihren Wecker, worauf sich ihr Sohn, 8 Jahre alt, allein auf
den Weg machte. Zwei Polizisten hielten ihn an, begleiteten ihn zur
Schule, fuhren daraufhin zur verschlafenen Mutter zurück und legten ihr
Handschellen an. Die Anklage lautete, sie habe ihr Kind willentlich in
Gefahr gebracht, es war von einer 10-jährigen Gefängnisstrafe die Rede.
Hasankolli kam gegen 2500 Dollar Kaution wieder frei. Sie geht jetzt
jeden Abend mit der Angst ins Bett, sie könnte den Wecker noch einmal
überhören, schreibt sie: «Dann nehmen sie mir meinen Sohn weg.»
In Arizona fuhr Brenda Mayers mit ihrem
Mann und ihren vier Kindern vom Schwimmbad nach Hause, es war später
Nachmittag, und sie wollten noch etwas essen. Die Jüngeren schliefen,
die beiden Älteren folgten dem Vater in eine Filiale von Burger King.
Mayers stieg aus dem Auto und setzte sich an einen der Tische neben den
Parkplätzen, der Wagen keine fünf Meter von ihr entfernt, die Fenster
offen. Nur einmal ging sie kurz hinein, um Servietten zu holen und sich
die Hände zu waschen, doch das reichte: Ein Gast am Nebentisch rief die
Polizei.
Mayers erhielt eine Busse, weil es verboten ist, Kinder
unter sieben Jahren mehr als fünf Minuten allein im Auto zu lassen.
«Dass es nicht mal eine Minute war, tat nichts zur Sache.» Ein paar
Wochen später führten Beamte der Kinderschutzbehörde CPS mit den Lehrern
von Mayers’ Kindern Gespräche. Auch die Kinder wurden vernommen,
ohne dass Mayers dabei sein durfte. Sie hat nun eine dicke Akte und
musste einen mehrtägigen Elternkurs besuchen, obwohl sie vier Kinder hat. Und als sie neulich in einem Park von einem Polizisten gerügt wurde, weil ihr Sohn zu nahe am Ufer lief, wollte sie sich erst wehren, liess es dann aber bleiben und entschloss sich, von nun an zu Hause zu bleiben. «Burger essen und im Park spazieren gehen, das ist in diesem Land zu gefährlich geworden.»
Mittagessen mit Danielle Meitiv, Mutter von Rafi, 11, und
Dvora, 8. Meitiv ist entweder Revolutionärin oder Rabenmutter, je
nachdem, wie man es betrachtet. Sie selbst will gegen «diese
Totalhysterie» ankämpfen, die in Amerika grassiere und die Städte «in
tote Kulissen verwandelt», für die sich keiner mehr zuständig fühle,
«weil wir ja immer zu Hause sind».
Dank einer nationalen Kampagne gelten Kastenwagen, die langsam im Quartier herumschleichen, als verdächtig.
Mehrmals schon liess Meitiv ihre Kinder
allein in den Park, was hier ähnliche Reaktionen auslöst, als hätte sie
ihnen zum Geburtstag Zigaretten geschenkt. Meitiv hörte auch nicht damit
auf, nachdem die Polizei bereits interveniert hatte und die Männer von
der Jugendschutzbehörde CPS begannen, sie auszuspionieren. Sie nahm sich
einen Anwalt und hielt dagegen. Die Meldung der renitenten Mutter, die
sich nicht verbieten lassen will, ihre Kinder ohne Aufsicht in der
Nachbarschaft herumlaufen zu lassen, ging vor einem Jahr um die Welt,
selbst das russische Fernsehen hat darüber berichtet. «In anderen
Ländern ist das doch ganz normal. Was also soll die Aufregung?»
Danielle Meitiv ist in den
Siebzigerjahren in einem jüdischen Viertel in Queens aufgewachsen.
«Einen gefährlicheren Ort gab es damals nicht in den USA», Bandenkriege,
Cracktote, «und dennoch liessen mich meine Eltern draussen spielen. Und
wenn ich die sechsspurige Strasse zur Synagoge überqueren musste, da
habe ich jemanden um Hilfe gefragt.» Das Bauchgefühl habe sich
verändert, so Meitiv, man gehe heute immer davon aus, dass etwas
passiert; und wer das schlimmstmögliche Szenario nicht einkalkuliert,
der gelte als schlechte Mutter oder mieser Vater.
Die Angst mit Löffeln gegessen
Wann war der Tag, die Woche, das Jahr, als sich die Angst
in den Köpfen der Amerikaner ausbreitete und immer häufiger auch in
jenen der Schweizer? Warum hat sich unser Blick derart verändert? Wie
ist es möglich, dass dieses Bauchgefühl allen Statistiken trotzt und
sich so hartnäckig hält? Mord, Raub, Vergewaltigung, Entführung, das
Leben in den USA war nie sicherer als heute. Selbst für Schwarze. Und
dennoch wurden noch nie so viele Ortungsgeräte verkauft. Handy-Apps und
Zimmerkameras, mit denen man seinen Nachwuchs jederzeit überwachen kann,
sind mittlerweile Standard im Kinderzimmer. Mit der Angst der Eltern
lässt sich Geld verdienen.
Als Meitiv in den Siebzigerjahren
aufwuchs, wurden Bilder verschwundener Kinder auf Milchflaschen
gedruckt, die auf den Frühstückstischen standen: «Hast du mich
gesehen?», war auf den Flaschen zu lesen, mit denen Millionen von
Amerikanern ihre Cornflakes-Schüsseln füllten – sie assen die Angst mit
dem Löffel. Damals begann man, den Kindern zu verbieten, mit Fremden
mitzugehen, «Stranger Danger» hiess die nationale Kampagne, und fortan
galten Kastenwagen, die langsam im Quartier herumschleichen, als
verdächtig. Auch dafür gibt es, wie für so vieles, eine Bezeichnung:
«Man in a Van» – diese Warnung vor Fremden kennt hier jedes Kind. Obwohl
90 Prozent der Kindsmisshandlungen von Verwandten oder Freunden
begangen werden, aber das nur nebenbei.
Als dann das Fernsehen 24 Stunden pro Tag
zu senden begann, explodierte die elterliche Paranoia, sagt Danielle
Meitiv. «Die emotionalen Einzelschicksale, die pausenlos auf uns
niederprasseln, haben unser Denken und unsere Risikowahrnehmung
verändert und uns alle in einen permanenten Schreckenszustand versetzt.»
Denn die Botschaft, die alle diese Geschichten in die Wohnzimmer
transportieren, sei: Pass bloss auf, es könnte auch deinen Kindern
passieren. Mit dem Resultat, dass alle überall Gefahr wittern. «Wer ein
Kind allein auf der Strasse sieht, der denkt sich: Was ist denn mit dem
passiert?, anstatt sich zu fragen: Und wo, bitte schön, sind all die
anderen?»
Mit dem Aufstieg der Angst, so Meitiv,
erhielt die Jugendschutzbehörde CPS, so etwas wie die Schweizer Kesb,
immer mehr Macht. Sie habe keine Angst vor Einbrechern, sagt Meitiv, sie
habe Angst davor, dass Nachbarn die CPS anrufen, weil sie ihre Kinder
wieder mal allein spielen lässt. «Die Leute von den CPS sind
unantastbar. Sie können Familien entzweien, Kinder in Internate stecken,
Männer als potenzielle Vergewaltiger abstempeln. Ein Wort der CPS
genügt, und dein Leben stellt sich auf den Kopf.»
Weil keiner Ärger will, würden Amerikaner
alles für ihre Kinder tun, daher der Überprotektionismus. «Wir züchten
eine Generation polierter Kids, für die wir alles tun und die wir
möglichst lang von der Welt abschotten. Mit 16 kiffen sie zwar heimlich
und haben Oralsex, aber vom Leben keine Ahnung.»
Ruhe statt Panik – ein Tabu in Amerika
Die geistige Mutter des Widerstands gegen
Meitivs «Totalhysterie» heisst Lenore Skenazy und lebt in New York. Sie
liess ihren 9-jährigen Sohn in Manhattan allein mit der U-Bahn fahren
und schrieb 2008 eine Kolumne darüber, mit dem Titel: «Here’s Your
Metrocard, Kid». Damit löste sie eine landesweite Empörung aus.
«Andauernd wurde ich gefragt, was ich getan hätte, wenn er nicht zu
Hause angekommen wäre. Aber das ist ja gar keine Frage. Es ist
eine Verurteilung.» Sie habe sich erlaubt, nicht mit dem
Schlimmstmöglichen zu rechnen, sondern damit, dass alles gut kommt. Ruhe
statt Panik. Ein Tabu in Amerika.
Seitdem wird Skenazy jährlich zur schlechtesten Mutter des
Landes gewählt, in den USA gibt es ja für alles eine Liste. Sie führt
einen Blog, hilft Eltern, die mit Behörden Schwierigkeiten haben, weil
sie etwa ihr Kind für eine Minute im Auto liessen, und sie hat die «Free
Range Kids»-Bewegung gegründet – so etwas wie die Freilandhaltung bei
Hühnern. Skenazy nennt es «Streifradius». Kinder sollen umherstreunen
und ihr Viertel entdecken, statt die Jugend im elterlichen Käfig
abzusitzen. Zudem unterstützt sie Projekte in Schulen, die die
Selbstständigkeit der Kinder fördern, und spricht an Tagungen von
«diesem total überhitzten Land» und den Auswirkungen auf die Kleinsten.
Dieser Überhitzung bin ich vor Kurzem wieder begegnet, als ich von einer freundlichen Fahrkartenverkäuferin daran gehindert wurde, mit meinen drei Kindern in den Zug zu steigen: «So
sind nun mal die Regeln.» Und die Regel lautet, dass ein Erwachsener
nur mit maximal zwei Kindern reisen darf, weil man allein auf drei nicht
aufpassen könne, was streng genommen ja auch stimmt. Falls etwa ein
Helikopter auf den fahrenden Zug stürzen würde und es zur Entgleisung käme, hätte ich tatsächlich Mühe, mich um alle zu kümmern. «Dann nehme ich halt das Auto», sagte ich, und sie nickte.
Jährlich kommt es zu 1,5 Millionen
Unfällen auf den Strassen der USA, 35 000 Menschen sterben, das Auto ist
das gefährlichste Verkehrsmittel von allen. Aber hey, keine Panik.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen