Freitag, 16. November 2012

Presse, Demokratie und Meinung. Eine Rede vor den Aktionären und Freunden der «Basler Zeitung»

Constantin Seibt am Dienstag den 13. November 2012 im Tages-Anzeier Blog: Deadline, Journalismus im 21. Jahrhundert http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline/index.php/1769/presse-demokratie-und-meinung-eine-rede-vor-den-aktionaren-und-freunden-der-basler-zeitung/ 

Letzen Freitag veranstaltete die Besitzerin der BaZ, die Medienvielfalt Holding AG, einen geschlossenen Anlass zum Thema «Die Rolle der Medien in der Demokratie». Referenten waren Markus Spillmann, Chefredaktor der NZZ, Ruedi Matter, Direktor von Radio und Fernsehen, Roger Köppel, Verleger der «Weltwoche», und ich. Hier meine Rede.

Sehr geehrte Frau Präsidentin Masoni,
Sehr geehrter Herr Tettamanti,
Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen für Ihre Einladung. Es ist ein Privileg, hier kurz über Journalismus und Demokratie nachzudenken, denn Journalismus ist ein Handwerk und Demokratie eine grosse Sache, und normalerweise sitzt man in seinem Büro mit halb geleerten Eisteeflaschen und halb fertigen Texten und denkt nicht an Demokratie.
Im Grund braucht es das auch nicht. Denn bei den spektakuläreren Momenten des Schreibens – den Momenten der Erkenntnis, des Zorns, des Witzes – ist man ganz bei sich und das ist gut so. Denn am stärksten ist Journalismus, wenn er so einfach wie möglich ist: Wenn er die Stimme eines einzelnen Menschen ist, der sagt, was er gesehen oder gedacht hat.
Der wichtigste Moment, wo ich im Alltag an die Wirkung, also das Publikum, also im weitesten Sinne an die Demokratie denke, passiert in den stillsten, unspektakulärsten Teilen des Textes. Dort, wo ich unauffällig Erklärungen nachschiebe, etwa, was zum Teufel ein Derivat ist oder wie sich eine Transaktion genau abspielt hat.
Ich feile oft am längsten an diesen stillen Passagen, denn sie müssen klar und genau sein, trotz aller Knappheit. Sie müssen Volkshochschule sein, ohne dass sie nach Volkshochschule klingen.
Denn das ist meine wichtigste Aufgabe als Journalist, mein Service an die Öffentlichkeit: präzis die Grundlagen zu liefern, von denen aus diskutiert werden kann. Mein Job ist, eine komplexe Welt verständlich zu machen, ohne ihre Komplexität zu verraten. Der Rest, nicht zuletzt meine Meinung, ist sekundär: Es ist der Anstrich des Hauses, nicht sein Fundament.

Die Anti-Mainstream-Strategie
Deshalb zweifle ich auch an der Art Journalismus, den Sie als Verein fördern. Sowohl handwerklich, als auch, ob dieser die Demokratie stützt. Ihre Medienvielfalt Holding AG hat bisher in ähnlicher Besetzung zwei Blätter neu lanciert: die «Weltwoche» und die «Basler Zeitung». Beide mit Herrn Tettamanti als Hauptaktionär, Herrn Matter als Banker, Herrn Wagner als Anwalt, Herrn Leutenegger als Verlagschef. Und mit Herrn Blocher als Hauptgesprächspartner des Chefredaktors.
Ihre Zeitungen sollen, wie Ihr Verein im Namen schon sagt, die Medien- und die Meinungsvielfalt fördern. Dazu, wie man in Interviews liest, wollen Sie Transparenz schaffen und Denkblockaden abbauen. Doch mit welchen Mitteln tun sie das?
Nun, wenn man die «Weltwoche» ansieht, so ist deren technischer Haupttrick, das Gegenteil vom sogenannten Mainstream zu schreiben. Das erscheint zunächst als gute Idee: Das Gegenteil der allgemeinen Gedanken ist oft ein inspirierender Gedanke. Die Frage ist nur, ob es auf lange Sicht eine kluge Strategie ist.
Ich glaube das nicht, aus folgenden Gründen:
  1. Zunächst ist schon die Annahme seltsam, dass der Mainstream immer falsch liegt. Noch seltsamer ist die Annahme, dass er immer genau falsch liegt: um 180 Grad, so wie eine Kompassnadel, die stets nach Süden zeigt.
  2. Am Anfang kann man mit Anti-Mainstream die Leute verblüffen, ärgern, vielleicht sogar zum Denken, ja zum Ändern der eigenen Meinung bringen. Aber ziemlich bald ist diese Strategie nichts als negativer Opportunismus: Man sagt stets das Gegenteil des vermuteten Konsenses. Und ist dadurch im Kopf vom Mainstream genau so abhängig wie sonst nur der modischste Mensch. Und genau so blind: Denn es geht einem nicht um die Tatsachen, nur um die Meinungen über die Tatsachen in der Öffentlichkeit.
  3. Die Themenwahl eines solchen Blattes wird extrem berechenbar: Die eskalierende Finanzkrise – existiert nicht; Fukushima – war keine Katastrophe; Berlusconi und Putin – sind ehrenwerte Männer; das Weltklima – kühlt sich ab; Frauen – sind das regierende Geschlecht; Radioaktivität – ist gesund.
  4. Die Folge: Sie werden unglaubwürdig. Zwar wären viele Thesen – etwa dass Radioaktivität gesund, Bundesrätin Widmer-Schlumpf eine Landesverräterin oder der Klimawandel eine Massenverblendung von tausenden Experten ist – interessant. Aber dadurch, dass gar nichts anderes in dem Blatt stehen kann – also kein positives Wort über Widmer-Schlumpf, nicht, dass Fukushima doch eine Katastrophe war – ist ihr Dynamit nass geworden: Man hat nun bei jeder These in der «Weltwoche» das Gefühl, man müsse sie erst persönlich nachrecherchieren. Und dazu fehlt einem die Zeit. Ich habe ein Kind, einen Job, einen Blog und eine Liebe. Da bleibt kein Platz für die «Weltwoche».
  5. Das auch, weil das Blatt durch seine Berechenbarkeit längst kaum mehr aufregt. Es langweilt. Es langweilt immer mehr.
Um die «Weltwoche» überhaupt lesen zu können, muss man ihr also glauben. Durch ihre Strategie des konstanten Anti-Mainstreams ist die ganze Zeitung en bloc zur Glaubenfrage geworden: Man glaubt ihr alles oder nichts. Kein Zufall, beschreiben sie einige Anhänger als: ihre Bibel. Doch mit diesem Sprung von Informationsmedium zur Glaubenssache verkörpert sie nicht nur das Gegenteil von Kritik. Sondern ist auch das Gegenteil von Service für die Demokratie.

Der Bau von Paralleluniversen
Denn die Aufgabe der Presse ist es ja, mal recht, mal schlecht, einen Mainstream herzustellen: eine holprige, vage, aber dennoch brauchbare Einigung über Fakten und Einschätzungen, auf Grund deren man debattieren kann.
Wenn aber nun mit Mainstream und Anti-Mainstream zwei Paralleluniversen mit je eigenen Fakten und Logiken bestehen, ist das ein Schaden für die Demokratie. Dann gibt es keine Gemeinsamkeiten, keine Grundlagen mehr, sondern nur noch Meinungen. Und Anhänger davon. Also zwei Lager, die nicht verschiedene Ansichten, sondern verschiedene Wirklichkeiten haben.
Es ist kein Wunder, dass die «Weltwoche» dieses Lagerdenken intern wie in ihren Artikeln immer stärker betont: Es gibt nur noch wir und ihr. Kein Wunder, schleichen sich paranoide Züge in ihre Weltsicht ein: Etwa, wenn sie ernsthaft behauptet, die seit mehr als 150 Jahren solid bürgerliche Schweiz werde in Wahrheit von getarnten Sozialisten regiert. Und typisch wie für jedes Lagerdenken ist ihre zunehmende Polizeimentalität: Politiker, Publizisten, Professoren erscheinen auf wie Fahndungsplakate gestalteten Titelblättern als Irrlehrer oder Landesverräter. Diese Art Grafik ist kein Scherz. Es ist ein Zeichen der Verachtung für alle, die die Meinung des Blatts nicht teilen.
So kommt es auch, dass – wegen ihrer Berechenbarkeit, aber auch ihrer Isolation – zwar die Kraft der «Weltwoche», Themen durchzusetzen, zunehmend erodiert. Nichts, was sie schreibt, überrascht mehr. Aber Ihr Drohpotential ist gewachsen: Schon wegen des engen Bündnisses mit dem reichsten Politiker des Landes wird die «Weltwoche» gefürchtet. Das nicht zuletzt in der Partei von Christoph Blocher selbst.

Investieren in den Realitätsverlust
Der Aufbau einer Parallelwelt ist aber auch gefährlich für Sie, meine Damen und Herren. Für alle, die an die «Weltwoche» glauben. Das grosse Vorbild für alle Medien, die vor allem politischen Einfluss suchen, ist Fox News. Fox hat den Durchbruch geschafft: Die republikanische Partei der USA hat mit der Speerspitze Fox ein eigenes, geschlossenes Mediensystem aus Radioshows, Magazinen und Blogs errichtet. Und damit ihre eigene Wahrheit, ihre eigenen Fakten, ihr eigenes Universum. Und hat sich dadurch zunehmend radikalisiert. So radikalisiert, dass nicht nur die Politik des ganzen Landes durch zwei Wirklichkeiten gelähmt ist. Sondern auch die republikanische Partei sich selbst sabotiert: Bei der jüngsten Wahl sorgten etwa vier ultrakonservative, steinreiche Milliardäre im Bündnis mit ultrakonservativen Fox-Moderatoren dafür, dass in den parteiinternen Vorwahlen die untauglichen Konkurrenten von Herrn Romney fast bis zum Schluss im Rennen blieben. Und ihn weit in ihre Parallelwelt nach Rechts trieben. Obwohl Präsidentschaftswahlen in der Mitte gewonnen werden.
Am Ende glaubte der unglückliche Kandidat Romney selbst an die Fox-Welt: Wie man jetzt liest, glaubte er tatsächlich, dass sämtliche Zahlen von neutralen Umfrageinstituten falsch seien. Also dass in Wahrheit er weit vorne liege, weil alle ausser den parteieigenen Spezialisten und den Fox-Experten sich irrten. Darauf baute Romney dann eine vollkommen falsche Kampagnentaktik. Die Niederlage traf den Kandidaten, sein Team, seine Geldgeber, die ganze Partei dann völlig unerwartet. Das Paralleluniversum zerschellte an der Wirklichkeit.
Sie, meine Damen und Herren, riskieren also als Investoren in eine mediale Gegenwelt mehr als nur viel Geld: den Realitätsverlust.
Denn die Denkverbote sind heute längst auf Ihrer Seite. Etwa wenn Roger Köppel sagt:
Die Wirtschaft wird durch den Wettbewerb kontrolliert. Als Journalist kann ich mir nicht anmassen, Unternehmen oder das Management zu kritisieren. Kritische Unternehmensberichterstattung ist nicht Sache des Journalismus.
Wenn ein Profi-Beobachter die halbe Welt aus der Kritik, ja überhaupt aus dem Blick ausschliesst, und dies einfach aus Prinzip, dann sollten Sie gewarnt sein: Das ist die Haltung eines bereits blinden Ideologen.

Die zwei grössten Probleme der BaZ
Damit zu Ihrem aktuellen Projekt, der «Basler Zeitung». Es ist unschwer zu erkennen, dass Sie damit versuchen, das Projekt «Weltwoche» zu kopieren, «die ja schon das Richtige tut», wie Ihr Hauptaktionär Tito Tettamanti sagt.
Und tatsächlich läuft alles wieder gleich ab: Sie haben Köppels langjährige Nummer zwei als Chefredaktor eingesetzt, wie in der ersten Zeit nach der Machtübernahme Köppels gibt es Verwirrung und Protest überall, der neue Chef beschwört – wie einst Köppel – den «Pluralismus»: und zwar mit demselben Konzept von Pluralismus als Polemik von beiden Seiten. In der Praxis heisst das: Einige linke Alt-Politiker schreiben Feigenblatt-Kolumnen, während wie damals bei der «Weltwoche» mehrere Säuberungswellen durch die Zeitung jagen. Die alten Redaktoren gehen, linientreues Personal kommt.
Die Frage bleibt, wie Sie hier Ihre grossen Ziele Medienvielfalt, Transparenz, Pluralismus verwirklichen wollen. Sie haben dabei mindestens zwei Probleme:
  1. Ihr Chefredaktor, Markus Somm, ist ein Mann, der sein halbes Leben lang sämtliche Leute als zu wenig links kritisierte. Heute kritisiert er sie als zu wenig rechts. Dieser Mann ist im Kern kein Journalist. Er ist nicht einmal ein politischer Mensch. Denn sein Standpunkt ist immer – links wie rechts – jenseits des politisch Möglichen. Sie haben als Boss einen Prediger gewählt.
  2. Sie, meine Damen und Herren, stehen selbst im Verdacht, Marionetten zu sein. Nehmen wir die berühmte Vorgeschichte Ihrer Übernahme der «Basler Zeitung»: Ein Parteiführer und Milliardär lässt im Geheimen seine Tochter eine Zeitung kaufen und schiebt gegenüber der Öffentlichkeit einen Flugunternehmer als Besitzer vor und gegenüber den Banken den ehemaligen Chef einer Grossbank. Und all das, um seinen Biographen als Chefredaktor einzusetzen. Das ist eine Geschichte, die klingt wie aus Russland. So etwas tun Oligarchen.
Zwar behaupten Sie, Herr Blocher habe in Ihrem Unternehmen nichts mehr zu sagen. Er würde nur noch das Defizit decken. Was ich dann nicht verstehe, ist: Warum haben Sie den gesamten Jasstisch eines seiner beiden Strohmänner, des Ex-UBS-Chefs Marcel Ospel, in den Verwaltungsrat gesetzt, wenn Ihnen Ihre Reputation als Unabhängige lieb ist?
Kein Wunder, haben Sie mit ihrer Zeitung furchtbare Probleme: Die Auflage hat einen Viertel verloren, Herr Blocher hat bereits 20 Millionen eingeschossen und fungiert – wie erst letzte Woche in der «NZZ am Sonntag» – als Unternehmenssprecher, der die Strategie – eine «nackte Zeitung ohne Druckerei» – bekannt gibt. Und der politische Erfolg hält sich auch in Grenzen: Nach einer monatelangen Kriminalitätskampagne in der “Basler Zeitung” wurde kein einziger der Politiker, die in der BaZ darauf einstiegen, in die Regierung gewählt; und im Parlament gewann die SVP nur zwei kümmerliche Sitze dazu.
Diese Rechnung ist sogar für einen Milliardär teuer: 10 Millionen Franken pro gewonnenen Sitz in einem Regionalparlament.

Drei Ratschläge
Zum Schluss: Was sollten Sie tun?
  • Nun, wenn Ihnen – trotz allen Argumenten – eine rechtskonservative Parallelwelt am Herzen liegt, dann deklarieren Sie die «Basler Zeitung» offen als Parteiblatt. Die Schweiz hat eine lange Tradition von Parteiblättern. Zwar waren diese meist gemässigter als die «Basler Zeitung», weil sie sich an der Basis der Partei orientierten. Und nicht am Chef. Aber es gibt enorm Kraft, nicht mehr dauernd Verstecken spielen zu müssen.
  • Wenn Ihnen hingegen die Pressevielfalt am Herzen liegt, dann schaffen Sie mit Ihrem Geld, statt es in Basel zu verbrennen, eine Stiftung, die bestehenden kritischen Journalismus unterstützt. Meinetwegen auch nur konservativen. Denn die von Ihnen zu Recht kritisierte Uniformität in einigen Teilen der Presse geht nicht auf Denkverbote oder Ideologie zurück, sondern meist auf die Arbeitsbedingungen: auf Zeit-, also auf Geldmangel.
  • Wenn Ihnen aber politische Ziele wie Deregulierung, Stärkung der Banken und Konzerne, sowie Einfluss von finanzkräftigen Individuen am Herz liegen, so tun sie am allerbesten: gar nichts. Denn Erfahrung zeigt: Je schlechter die Leute informiert sind, desto mächtiger sind die bereits Mächtigen. (Ein Beispiel hier.) Und bei der wirtschaftlich bedingten Schrumpfung der Presse regelt Ihr Anliegen diesmal tatsächlich am besten der, der angeblich alles regelt: der Markt.
Ich danke Ihnen für Ihre Einladung. Eine kritische Stimme einzuladen, beweist Toleranz, zumindest Neugier. Deshalb bedaure ich sehr, Ihnen sagen zu müssen, dass ich für Ihr Projekt, so wie es sich derzeit darstellt, keine Chance auf Erfolg sehe: nicht publizistisch, nicht finanziell, nicht politisch. Und dass ich auch zweifle, dass ein Erfolg Ihres Projekts – sowohl für die Presse wie für die Demokratie – überhaupt wünschbar wäre.

Korrektur: Die SVP Basel gewann nach der ersten Auszählung der Briefstimmen 2 Sitze im Basler Grossrat. Doch das änderte sich. Nachdem zusätzlich auch die Urnen ausgezählt waren, war es nur einer. Das lässt die Kosten des gewonnenen Sitzes auf 20 Millionen Franken hochschnellen. So viel wie die Kosten des landesweiten SVP-Wahlkampfs in den Wahlen 2011. (Mit Dank an Renato Beck)

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