Donnerstag, 29. September 2011

Klimakiller Kompost

aus Telepolis: http://www.heise.de/tp/artikel/35/35505/1.html

Roland Schnell

Kompostierung wird meist als die "ökologische Technik" schlechthin betrachtet

Eine unübersehbare Zahl von Büchern, Zeitschriftenartikeln und mittlerweile auch Web-Sites schwärmt von der segensreichen Wirkung des Materials, das aus der Zersetzung von Gartenabfällen, Ernterückständen oder auch Küchenabfällen entsteht. Sogar öffentliche Einrichtungen ziehen mit. So teilt das Landratsamt Altötting den Bürgern mit: "Mit der Kompostierung von organischen Abfällen gewinnt der Gartenbesitzer mehrfach. Er produziert nährstoffreichen Humus, unterstützt den natürlichen Kreislauf in seinem Garten und spart Geld durch geringere Entsorgungskosten für Grüngut und Kauf von Düngern."

Damit sind die Vorteile umrissen. Von den Problemen erfährt man eher am Rande: Der Komposthaufen gilt als Schandfleck für den gepflegten Garten und steht in dem Verdacht, üble Gerüche abzusondern oder gar Ungeziefer anzuziehen. Eine erfindungsreiche Kleinindustrie hat deshalb hübsche Behälter entwickelt, die es mittlerweile in jedem Baumarkt zu kaufen gibt.

Ausgefeilte Systeme, wahre Kompostiermaschinen aus Kunststoff - oder für den, der es naturbelassener liebt, aus bestem Holz - sollen dem Gartenfreund ein schnelles und reproduzierbares Ergebnis garantieren. Damit es auch klappt, gibt es vom Baumarkt eine schriftliche Anleitung und sogar ein Video dazu.

Kompostierung ist Verbrennung - nur biologisch
Was biochemisch im Kompost abläuft, wird seit Jahrzehnten in allen Details untersucht, ist aber im Prinzip wenig umstritten: Es ist letztlich eine Oxidation, eine biochemische Verbrennung, und deshalb weisen alle Anleitungen darauf hin, wie wichtig die geregelte Luftzufuhr ist. Es geschieht im Prinzip das, was auch beim Anzünden der organischen Stoffe passieren würde, nur viel langsamer und bei niedrigerer Temperatur. Es sind Lebewesen, vom Mikroorganismus über Pilze bis zum Regenwurm daran beteiligt. Ihre Lebensfunktionen sind genau wie bei Mensch und Tier. Sie nehmen Sauerstoff auf, nutzen die Energie des organischen Materials und geben Kohlendioxid ab.

Und genau hier setzt die Kritik an. Kompostierung setzt Kohlendioxid frei, das inzwischen als das Klimagas schlechthin anerkannt ist. Zwar kann nicht mehr Kohlendioxid freigesetzt werden, als vorher beim Wachsen der Pflanzen aus der Atmosphäre aufgenommen wurde. Wenn man es aber erreichen könnte, dass der in der Biomasse gebundene Kohlenstoff nicht wieder freigesetzt wird, hätte man eine Kohlenstoffsenke. Damit ließe sich der der CO2-Gehalt der Atmosphäre vermindern.

In den Böden ist weltweit mehr als dreimal soviel Kohlenstoff (2,5 Billionen t) festgelegt, wie in der Atmosphäre (0,7 Billionen t) enthalten ist. Pflanzen und Tiere zusammen bringen es sogar nur auf 0,56 Billionen t Kohlenstoff.

Humus bindet Kohlendioxid
Unter den Vorzügen der Kompostierung wird stets der "nährstoffreiche Humus" aufgeführt. Dabei sind die Nährstoffe nur eine Seite des Humus. Der Dauerhumus im Boden ist eine komplexe Substanz, die ein optimales Gedeihen der Pflanzen überhaupt erst ermöglicht. In hydroponischen Kulturen lassen sich Pflanzen auch ohne Boden, was heißt ohne Humus, aufziehen. Grundlage ist eine Nährlösung mit allen erforderlichen Mineralien und Spurenelementen. Allerdings muss jeder Parameter sorgfältig überwacht werden. Computergesteuerte Regeleinrichtungen übernehmen nun das, was der Humus im Boden ganz von allein macht.

In der industriellen Landwirtschaft hat man geglaubt, ohne Humus auskommen zu können. Die Fuhre Stallmist, die der Bauer auf den Acker fährt, gilt als schlagendes Beispiel für Rückständigkeit und ineffizienten Einsatz von Dünger. Wie viel eleganter und wirksamer scheint es doch, einen Sack mit sauberem Mineraldüngers so dosiert zu verstreuen, dass die Pflanzen genau das bekommen, was sie brauchen. Soweit die Theorie.

Inzwischen findet der Humus wieder mehr Zuspruch. Man beginnt seine Funktion als "biochemisches Regelsystem" wieder zu schätzen und intensiver zu erforschen. Auch ist Angst vor dem Klimawandel ein starkes Antrieb. Man hat herausgefunden, dass humusreiche Böden mit den Folgen des Klimawandels besser zurechtkommen. Trockenperioden lassen sich durch die Fähigkeit, die Niederschläge in der oberen Bodenschicht zu speichern, besser überbrücken. Im kritischen Bereich von 0,5% bis 2,5% Humus steigen die Erntemengen linear mit der Erhöhung des Humusgehaltes. Chemische Dünger und schwere Landmaschinen sind anscheinend nicht, wie es die Agrarchemie und Politik seit Jahrzehnten propagieren, Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

Allein durch Humusaufbau könnten Böden in den nächsten Jahren bis zu 1 t Kohlenstoff pro ha und Jahr auf Dauer festlegen. Dabei hat das Dauergrünland die Nase vorn. Andere Bewirtschaftungsformen kommen noch auf bis zu 0,5 t/ha und Jahr: Dabei ist der ökologische Landbau nicht unbedingt vorteilhafter.

Reste verkohlen
Die Kompostierung gilt traditionell als ein Verfahren zur Aufbereitung von Resten aus Landwirtschaft und Gartenbau. Das Ausbringen von unbehandeltem Ausgangsmaterial wäre nicht gut für den Boden, aber die Behandlung setzt Kohlendioxid frei und bringt damit nicht die theoretisch mögliche Menge Kohlenstoff in den Boden.

Manche Kompostierungsverfahren sind geradezu auf möglichst hohen Abbau der organischen Substanz ausgelegt. Insbesondere bei der Kompostierung von Siedlungsabfällen aus der Biotonne muss darauf geachtet werden, dass die Temperaturen so weit ansteigen, dass es zu einer Hygienisierung des Materials kommt. Für die Wärme sorgt der biochemische Ofen der Kleinlebewesen.

Nun richtet sich das Interesse auf Verfahren, die ursprünglich mit ganz anderen Motiven entwickelt wurden. So ist die Kompostierung von Siedlungsabfällen und Klärschlamm in den letzten Jahrzehnten ins Zwielicht geraten, weil im Endprodukt noch Giftstoffe verschiedener Art gefunden wurden, die mit biologischen Methoden nicht entfernt werden konnten. Manche wollten gleich alles verbrennen, was aber bei organischen Abfällen wegen des hohen Wassergehalts keine besonders effektive Methode darstellt.

Die Rettung kommt aus dem Urwald von Amazonien. Archäologen hatten dort die Spuren versunkener Hochkulturen entdeckt, die eine hochproduktive Landwirtschaft betrieben haben. Der Schlüssel scheint unter anderem in der Verwendung von Holzkohle zu liegen. Kleingärtner, die die Rückstände vom Grillabend (Asche und unverbrannte Grillkohle) auf den Kompost gegeben haben, haben davon schon profitiert.

Als "Terra Preta" wird schon ein mit Holzkohle versetztes Pflanzsubstrat in Deutschland vermarktet. Das Projekt "TerraBoGa" im Botanischen Garten von Berlin wird im Rahmen des Umweltentlastungsprogramms und aus Mitteln des Europäischen Fond für Regionale Entwicklung gefördert. Bislang ist es offensichtlich nicht gelungen, die jährlich etwa 750 m³ Grünschnitt, 350 m³ Gehölzschnitt, 230 m³ Langgrasschnitt und 150 m³ Stammholz zu dem benötigten 350 m³ Kompost zu verarbeiten. Nun sollen auch noch die Fäkalien der Besucher einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden.< Die Firma Palaterra fühlt sich verpflichtet, darauf hinweisen zu müssen, dass es nicht damit getan ist, Holzkohle im Boden zu vergraben und geht damit auf Distanz zur einfachen "Biokohle", auch "Biochar" genannt. Entscheidend seien die spezifischen Pilz- und Bakterienpopulationen, die den denen der orginalen "Terra Preta do Indio" entsprechen würden. Diese Mikroorganismen kann man schon als Indio Essenz im Handel erwerben.

Holzkohle im Widerstreit
Die Beschaffung der Holzkohle stellt sich etwas komplizierter dar, falls hohe Anforderungen an Nachhaltigkeit bestehen. Holzkohle wird in Deutschland kaum noch produziert. Das meiste wird importiert, auch wenn dafür nicht unbedingt der Regenwald abgeholzt wird.

Manche stellen Holzkohle selbst her, indem sie Holzreste abbrennen und die verkohlten Reste einsammeln. Aber das ist mit noch größeren Verlusten verbunden als die traditionelle Herstellung, wie sie die Köhler betrieben haben. Die Wärme geht bei dieser primitiven Technik ebenso verloren wie gasförmige Nebenprodukte. Nur etwas Holzgeist (Methanol) und Teer haben die Köhler im Angebot. Effizienter sind geschlossene Systeme, bei denen die Abgase genutzt werden. Beim Retortenverfahren entstehen neben 25-30% Kohle auch 30-40% Holzessig, 10-15% Holzteer und 10-15% Holzgas. In der Regel wird Abfallholz eingesetzt.

Das Interesse an Terra Preta hat den Blick auf andere Rohstoffquellen gelenkt. In Indonesien werden Reishülsen bisher einfach verbrannt. Als Brennstoff sind sie wenig geeignet, da sie zur Hälfte aus Silikat bestehen. Das stört aber nicht, wenn sie als Briketts verkohlt und für Terra Preta eingesetzt werden.

Wiederkehr der Pyromanen
Jahrzehntelang wurde die Pyrolyse als Alternative zur Müllverbrennung propagiert. Millionenschwere Projekte sind an dem Versuch gescheitert, Abfälle zu entgasen und die gereinigten Gase mit hohem Wirkungsgrad zur Energiegewinnung zu nutzen. Was oft lästiges Beiprodukt war, der Pyrolysekoks, rückt nun in den Mittelpunkt des Interesses. Nun wird Biokohle durch thermochemische Zersetzung organischer Stoffe unter Sauerstoffabschluss und bei Temperaturen zwischen 350 und 900 °C hergestellt.

So wurde auch die Pyrolyseanlage der Pyreg GmbH ursprünglich für die Entsorgung für feuchte Abfälle, wie Klärschlamm, entwickelt. Das System, das in einem 20 Fuß-Container Platz findet, wird heute in der Schweiz zur Erzeugung von rund 350 t Pflanzenkohle im Jahr eingesetzt. Als Input werden rund 1.000 t landwirtschaftlicher Reststoffe, wie Grünschnitt, Rinde, Holz, Nadeln, Laub, Biotonne, Getreideabfälle, Stroh, Rapspresskuchen, Rübenschnitzel, Traubentrester, Olivenkerne, Nussschalen, Klärschlamm, Gärreste, Rechengut, Kaffeepulver, Kompost, Miscanthus, Silphium, Maissilage usw. usw. benutzt.


Die Pyrolyseanlage von Pyreg GmbH paßt in einen 20-Fuss-Container und erzeugt Pflanzenkohle aus landwirtschaftlichen Reststoffen. Bild: Ithaka – Journal für Terroir, Biodiversität und Klimafarming

Kann denn Kohle Bio sein?
Auch wenn die Firma noch Swiss Biochar heißt, ihr Produkt wird inzwischen als "Pflanzenkohle" vermarktet. Eifersüchtig wachen die Anbauverbände des ökologischen Landbaus über die Verwendung der Vorsilbe "Bio" und fordern eine Richtlinie in Anlehnung an die EU-Bioverordnung. Ein Entwurf will strenge Werte für Ausgangsmaterialien (Positivliste), deren Schadstoffgehalte, das Einzugsgebiet, aber auch für die Energiebilanz und die Emissionen der Pyrolyseanlagen festschreiben.

Vorsicht ist geboten, da viele auf den Zug "Biokohle" aufspringen wollen, denen es nicht um nachhaltiges Wirtschaften, Bekämpfung des Hungers in der Welt und Klimaschutz geht. So soll dezentral gewonnene "Biokohle" die Biomasse transportfähig für den Einsatz in den bestehenden, zentralen Kohlekraftwerken machen. Mit dem positiven Image von "Biokohle" lässt sich auch die Pyrolyse von kontaminierten Abfällen besser verkaufen.

So ist die "Hydrothermale Carbonisierung" (HTC) ursprünglich mit dem Anspruch angetreten, den gesamten in der Biomasse enthaltenen Kohlenstoff als Energieträger zu nutzen. Sie kann eine wässrige Suspension unter Druck bei Temperaturen von 180 - 220 °C innerhalb weniger Stunden in ein braunkohleartiges Material umwandeln. Die synthetische Braunkohle sollte ursprünglich komplett verbrannt werden. Nun wurde alternativ dazu auch die Umwandlung zu Pflanzenkohle als Markt entdeckt.

Seit einigen Jahren beschäftigen sich Universitäten und Großforschungseinrichtungen mit dem Thema. Einige haben sich schon zum Bundesverband Hydrothermale Carbonisierung e.V. zusammengeschlossen. Dessen Visionen sind mit der "Erzeugung von Synthesegas zur Verstromung in KWK-Anlagen, zur Herstellung von Biomethan zwecks Einspeisung ins Erdgasnetz, zur Produktion von Bio-Benzin und als Rohstoff für Festbrennstoffzellen" sehr viel umfassender.


Kein Allheilmittel
Das Delinat Institut für Ökologie und Klimafarming (DIOK) in der Schweiz ist einer der Pioniere beim Einsatz von Pflanzenkohle in der Landwirtschaft. In der Zeitschrift Ithaka - Journal für Terroir, Biodiversität und Klimafarming wird seit Jahren regelmäßig über die eigenen Arbeiten auf diesem Gebiet berichtet. In der Ausgabe 1/2011 warnt Hans-Peter Schmidt davor, die Kohle im Boden als Allheilmittel für alle Schäden der Zivilisation und gar als "letzte Chance für die Menschheit" zu betrachten, wie es kürzlich von James Lovelock (Gaia-Prinzip) formuliert wurde:
Das Klimafarming-Konzept beruht nicht auf Pflanzenkohle, sondern auf Humuswirtschaft mit geschlossenen Stoffkreisläufen, Biodiversitätsförderung, Düngemittelreduktion, Ackerforstmethoden, Mischkulturen, Gründüngung, Kompost, Biogasgewinnung, Energieerzeugung, pfluglosem Anbau, nachhaltiger Tierhaltung und Artenschutz. Doch der intelligente Einsatz von Pflanzenkohle, durch den sich fast alle diese Bereiche optimieren lassen, könnte zum verbindenden Ansatzpunkt und Trojanischen Pferd zur Verwirklichung einer neuen Klima-Landwirtschaftkultur werden.

Hans-Peter Schmidt
Roland Schnell (Webseite) ist Experte für Energie aus Biomasse und Landwirtschft mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung.

Mittwoch, 28. September 2011

Dienstag, 27. September 2011

Wie öko und fair ist die Outdoor-Branche?

Von: http://reset.to/blog/rank-brand-wie-oeko-und-fair-ist-die-outdoor-branche

Outdoor-Firmen werben mit Bildern von wilder und romantischer Natur, mit bunt gekleideten Menschen in unberührten Landschaften. Dabei kümmern sich viele  Outdoor-Hersteller nicht um den Erhalt einer solchen Natur, die doch die Grundlage der ganzen Branche ist: Schuhe, Jacken, Rucksäcke, Kletter- und Skiausrüstungen bestehen aus aufwändig hergestellten Materialien, die kaum recycelt werden und nicht selten auf den Sondermüll gehören.

Und neben dem fehlenden Umweltbewusstsein ist auch die soziale Performance eher traurig: Die Outdoor-Industrie steht nicht gerade für gut bezahlte Mitarbeiter und faire Arbeitsbedingungen.

Rank a Brand bewertet Outdoor-Hersteller
Wer sich informieren möchte, wo die verschiedenen Marken in punkto Umweltschutz, CO2-Ausstoss und Arbeitsrechte stehen, der findet auf den Seiten von Rank a Brand Bewertungen einzelner Outdoor-Hersteller. Auf Rank a Brand können Konsumenten vergleichen, wie transparent, grün und sozialverträglich eine Marke ist. Und sich dann für die Richtige entscheiden.

Für die "Ausstatter für Naturerlebnisse" sieht es so aus:

Von den bewerteten Marken (Nomad, Timberland, Patagonia, Vaude, Mammut, Jack Wolfskin, Fjällräven, North Face, Salewa, Icebreaker, Berghaus) ist keine im grünen Bereich. Das heißt, keiner der Hersteller hat mehrheitlich positive Bewertungen in den drei Bereichen Klimaschutz, Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen. Eingeschränkt empfehlenswert sind Patagonia, Nomad und Timberland, die immerhin partiell gut bis sehr gut abschneiden.

Patagonia versucht mit sogenannten "Footprint Chronicles" den ökologischen Fussabdruck jedes Produkts für den Käufer nachvollziehbar zu machen. Ein guter Ansatz, allerdings fehlen klare Angaben zur Umsetzung des Ziels, CO2 weiter zu reduzieren. Laut Patagonia sind 100% der verwendeten Baumwolle aus ökologischer Herstellung, außerdem wird versucht, viele Materialien zu recyceln (Baumwolle, Nylon u.a.). Patagonia hat sich viel vorgenommen, doch Zahlen werden auf der Internetseite nicht dokumentiert. Der Hersteller ist Mitglied in der Fair Labor Association und zahlt Mindestlöhne, die maximale Arbeitszeit liegt allerdings bei 60 Stunden.

Nomads bessere Performance liegt im Bereich der Arbeitsrechte und des fairen Handels. Nomad ist Mitglied bei MADE-BY und produziert in Niedrig-Risko-Ländern. Im Bereich Klima- und Umweltschutz schneidet der Hersteller allerdings schlecht ab.

Timberland hat eine sehr gute Performance beim Klimaschutz: Die Emissionen der Flüge der Beschäftigten werden neutralisiert. Auf der Seite finden sich Ergebnisse und Ziele zur weiteren Reduktion der CO2-Emissionen. Im Bereich der Arbeitsrechte zahlt Timberland wenigstens ein Minimum an Lohn und eine begrenzt die Arbeitszeit. Timberland verwendet zwar Biobaumwolle, unklar ist allerdings zu welchem Anteil. Das gibt keine Punkte.

Bei den anderen Herstellern steht es schlecht um die soziale und ökologische Performance. Wer sich genauer informieren möchte findet bei Rank a Brand eine Übersicht.

„Image und Realität der Outdoor-Branche klaffen zum Teil schmerzhaft auseinander“, so Kirsten Clodius von der Kampagne für Saubere Kleidung. „Statt nachhaltiger sozialer Entwicklung wird allzu oft nachhaltige Ausbeutung praktiziert.“
Es tut sich was in der Outdoor-Branche
Doch es gibt Hoffnung: Jack Wolfskin hat Anfang Juli seinen Beitritt zur Fair Wear Foundation erklärt, die sich für eine effektive Verbesserung von Arbeitsbedingungen einsetzt. Vaude möchte bis 2015 Europas ökologischster Outdoor-Ausrüster  werden; im Moment enthält die Kollektion Sommer 2011 nach eigenen Angaben bereits zu 16 % sogenannte Green Shape Produkte. Das sind Produkte, die aus mindestens 90% Biobaumwolle, recycelten Materialien oder der Holzfaser Tencel bestehen, mit dem umweltfreundlichen Färbeverfahren VAUDE eColour gefärbt wurden oder dem weltweit strengsten textilen Umweltstandard bluesign entsprechen. Auf der Sportartikel-Fachmesse ISPO wurde VAUDE mit zwei Auszeichnungen bedacht: dem Eco Responsibility Award 2011 für das Zelt Blue One als umweltfreundlichstes Produkt und in der Kategorie Company colution als nachhaltigstes Unternehmen. Eine Bewertung von Vaude findest Du auch bei Rank a Brand.

Fazit: Die Outdoor-Branche bewegt sich langsam, aber sie bewegt sich. Und jede unserer  Kaufentscheidungen kann dazu beitragen, der Branche den Schubser in die richtige Richtung zu geben.


Handeln

Projektempfehlungen

Rank a Bran
Auf der Website von Rank a Brand können Konsumenten vergleichen, wie transparent, grün und sozialver
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Weiterführende Links
Lernfähige Outdoor-Branche
Outdoor-Mode: Nix sozial gerecht
Cleanclothes.org
Kampagne für Saubere Kleidung
Rank a Brand

Montag, 26. September 2011

One man Demo

Anfangs etwas random, mit der Zeit kommt man aber auf den Geschmack.
Hier die ganze Playlist: http://www.youtube.com/view_play_list?p=4AD7FA67BF625DAD


Die soziale Schere öffnet sich

Artikel der Zeit: http://www.zeit.de/2011/34/Deutschland-Ungleichheit

Mehr Arme und mehr Millionäre: In Deutschland wächst die Ungleichheit – ist der Trend noch zu stoppen?

Lange Zeit gehörte er zu den Markenzeichen der Bundesrepublik. Wie Mercedes, Pünktlichkeit und Qualität: der soziale Ausgleich. Zwischen Flensburg und dem Bodensee gab es weniger Reiche als in anderen Industrieländern – und weniger Arme. Die sozialen Gegensätze waren geringer als anderswo, die Einkommensunterschiede vergleichsweise klein. Auch darin bestand der »rheinische Kapitalismus«. Doch das ist vorbei. Heute klafft zwischen Arm und Reich in der Bundesrepublik eine nahezu gleich große Lücke wie im Durchschnitt der Industrieländer. Die viel gerühmte soziale Marktwirtschaft macht keinen Unterschied mehr. Die Reichen wurden auch hier in den vergangenen Jahrzehnten reicher und die Armen ärmer.

Eine beunruhigende Entwicklung, die vor allem in dieser Zeit der Krise zum Sprengsatz werden kann. Schließlich stellt sich die Verteilungsfrage heute mit neuer Schärfe. Angesichts der Milliardensummen, die nötig sind, um die Banken zu stützen, den Euro zu retten und die Staatsschulden abzutragen – und die irgendjemand wird aufbringen müssen. Die Bundesregierung stellt Steuersenkungen in Aussicht, dabei ist zu befürchten, dass in Zukunft vor allem über neue Lasten gestritten wird. Bei den Arbeitslosen wurde schon begonnen, Hilfsprogramme in Milliardenumfang zusammenzustreichen. Das dürfte – sollte die Krise nicht eine unerwartet positive Wendung nehmen – nur der Anfang sein. Vor diesem Hintergrund steigert sich das Unbehagen über die Entwicklung der vergangenen Jahre zur Empörung. Der Niedriglohnsektor wuchs, die Mittelschicht schrumpfte – und nun sollen die nächsten Zumutungen folgen?


Selbst im eher bürgerlichen Lager wächst der Unmut. »Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat«, lautete am vergangenen Wochenende die Überschrift über einem ganzseitigen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung . Darin zitierte Herausgeber Frank Schirrmacher mit Wonne aus der Kolumne eines konservativen britischen Kolumnisten, der inzwischen fürchtet, das Wirtschaftssystem diene am Ende doch nur den Reichen. Das mag zugespitzt sein, entspricht jedoch einem verbreiteten Unbehagen. Einem Rumoren in weiten Teilen der Gesellschaft, das nicht nur in Großbritannien, sondern auch hierzulande jede zukünftige Debatte über eine gerechte Verteilung begleiten wird – mehr oder minder laut.

Dabei ist der Trend zu einer ungleicheren Beteiligung am Wohlstand weder unausweichlich, noch hat er sich in den vergangenen Jahren so bruchlos fortgesetzt, wie es oft erscheint. Und vor allem sind die Ursachen zum Teil völlig andere als die, über die in der politischen Debatte am heftigsten gestritten wird. Tatsache ist aber: Die soziale Kluft hat sich enorm verbreitert.

Heute haben die zehn Prozent Haushalte mit den höchsten Einkommen in Deutschland fast elfmal so viel Geld zur Verfügung wie die zehn Prozent mit den niedrigsten. Ab einem Haushaltsnetto von 7.545 Euro im Monat gehört man zur Spitze, mit weniger als 712 Euro zählt man zum untersten Zehntel. Berücksichtigt sind dabei sämtliche Einnahmen – egal, ob Lohn, Arbeitslosengeld, Rente oder Dividenden – nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben. Unmittelbar vergleichbare Zahlen für die Vergangenheit hat das Statistische Bundesamt nicht. Doch nach Angaben der Industrieländerorganisation OECD wuchsen die Einkommen des obersten Zehntels in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten um ein Vielfaches schneller als die am unteren Rand. Der Abstand zwischen oben und unten wurde also immer größer.

Ebenfalls zugenommen hat die Zahl der Menschen mit solch niedrigen Einkommen, dass Statistiker von relativer Armut sprechen. Die gilt als erreicht, wenn jemand über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Zuletzt war ein Alleinstehender hierzulande demnach »armutsgefährdet«, sofern sein Nettoeinkommen (inklusive Sozialleistungen) bei weniger als 929 Euro im Monat lag. Einer EU-Erhebung zufolge lagen im Jahr 2004 zwölf Prozent aller Deutschen unter der (damaligen) Armutsschwelle, 2008 waren es schon 15,5 Prozent. Mehr relative Armut verzeichnen vor allem osteuropäische Länder, aber auch Italien (18 Prozent), deutlich weniger die Skandinavier, die Niederlande und Österreich (zwischen 11 und 13 Prozent). Auch hier zeigt sich: Deutschland ist im Mittelfeld angekommen.
 Noch viel extremer als bei den Einkommen sieht es indes bei den Vermögen aus. Laut dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung besaßen zuletzt 10 Prozent der Bevölkerung 56 Prozent des hierzulande angehäuften Eigentums. Auf die untere Hälfte der Bundesbürger entfiel dagegen nahezu nichts: Ihr gehörten bloß zwei Prozent aller Vermögenswerte. Eine nur schwer vorstellbare Vermögenskonzentration. Womöglich gab es sie allerdings auch vor zwanzig, dreißig Jahren schon. Darauf deuten ältere Erhebungen hin, die jedoch nicht voll vergleichbar sind. Unzählige Wirtschaftsdaten werden laufend erfasst, doch ausgerechnet bei den Vermögen bleibt vieles im Dunkeln.

Zumindest fühlen sich Wohlhabende in Deutschland offenbar viel wohler, als es oft behauptet wird. Die Beratungsfirma Capgemini untersucht jedes Jahr, wie es um die Reichen in der Welt steht – um die High Net Worth Individuals, kurz HNWI. Als solche bezeichnen die Berater Personen, die ohne ihre hauptsächlich genutzte Immobilie, ohne Autos und andere Gebrauchsgegenstände, ohne Sammlungen und nach Abzug von Schulden über ein freies Vermögen von über einer Million Dollar verfügen. Rund 924000 Bundesbürger sind nach diesen Kriterien derzeit reich – mehr als doppelt so viele wie in Großbritannien oder Frankreich. Es gibt demzufolge überhaupt nur zwei Länder auf dem Globus, die USA und Japan, in denen mehr dieser HNWI zu Hause sind als in Deutschland. Die Bundesrepublik – Heimat der Reichen und zugleich Heim der Habenichtse. Das gehört mittlerweile zur deutschen Realität.


Deutschland hat den höchsten Anstieg der Lohnungleichheit

Schon im Herbst 2008 warnten Experten der OECD: Armut und Ungleichheit haben sich in keinem anderen Industrieland so schnell ausgebreitet wie zuletzt in der Bundesrepublik. Nirgendwo habe sich die Kluft zwischen den Topverdienern und den Verlierern am Fuß der Einkommensskala so rasant ausgedehnt wie hier. Ein alarmierendes Urteil, das vielen als Beleg dafür galt, wohin die Niedriglohnstrategie Deutschland führt. »Hartz IV ist schuld«, auf diese schlichte Formel verengten sich viele Diskussionen. Dabei führt die Suche nach den Ursachen noch zu ganz anderen Problemen und Versäumnissen.

Denn: Drastisch auseinandergegangen sind die Einkommen insbesondere vor Einführung von Hartz IV im Jahr 2005. Ein wichtiger Grund für die Spaltung, so die OECD-Experten, war der enorme Anstieg der Arbeitslosigkeit. In keinem anderen Land der OECD lebte ein größerer Teil der Bevölkerung in einem Erwerbslosenhaushalt als in Deutschland.

Inzwischen haben wieder mehr Bundesbürger einen eigenen Broterwerb. Und tatsächlich scheint der rasante Anstieg der Einkommensungleichheit zumindest gebremst. Nach einer EU-Erhebung war die Spaltung 2006 am höchsten und ging danach zwei Jahre lang geringfügig zurück. Neuere Zahlen gibt es nicht. Vollständig korrigiert hat sich das einmal entstandene Gefälle aber nicht. Und insbesondere die Armut nahm noch etwas zu. Die Arbeitslosigkeit ist ein wichtiger Faktor für Ungleichheit, aber nicht der einzige.

Auch die Lohnentwicklung hat zur Spreizung bei den verfügbaren Einkommen beigetragen. Wiederum nicht erst seit den Hartz-Reformen, sondern seit rund 20 Jahren. Denn so lange wächst bereits der Anteil der Niedriglöhne. »Deutschland gilt heute als eines der OECD-Länder mit dem höchsten Anstieg der Lohnungleichheit«, sagt Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Gehaltsunterschiede zwischen hoch und gering qualifizierten Arbeitnehmern seien immer größer geworden. Während die Gehälter von Universitätsabsolventen seit Mitte der achtziger Jahre inflationsbereinigt um 22 Prozent gestiegen seien, liege das reale Lohnplus bei Ungelernten im gleichen Zeitraum bei null. Die Fallhöhe je nach Bildungsabschluss war offenbar noch nie so unterschiedlich wie heute.

Dabei handelt es sich um einen internationalen Trend. In fast allen Industrieländern, auch in Skandinavien, drifteten die Löhne und die Einkommen in den vergangenen Jahrzehnten spürbar auseinander. Den tieferen Grund dafür sehen Experten zum einen in der Globalisierung, durch die Millionen neuer Arbeitskräfte in Niedriglohnländern auf den Weltmarkt gekommen sind, und zum anderen im technischen Fortschritt, der vor allem einfache Arbeit ersetzbar und viele Jobs verlagerbar macht. Wie sehr in Deutschland die Wiedervereinigung und die Öffnung nach Mittel- und Osteuropa für zusätzlichen Druck auf die Löhne sorgten, können auch Fachleute nicht beziffern. In jedem Fall schafft der Markt heute offenbar stärker als je zuvor eine soziale Unwucht. Für den Staat heißt das: Will er die gleiche Balance wie früher wahren, muss er mehr tun. Doch geschehen ist das Gegenteil.

Man kann darauf verweisen, dass es noch ein ganzes Bündel anderer Gründe für mehr Ungleichheit gibt: Familienstrukturen haben sich aufgelöst, es gibt mehr – häufig arme – Alleinerziehende und mehr Dinks ( Double Income No Kids) , also mehr kinderlose Doppelverdiener . »All das spielt eine Rolle«, sagt der Frankfurter Verteilungsforscher Richard Hauser. »Eine einzige Ursache«, so der emeritierte Professor, »gibt es nicht.«

Doch es sind nicht nur die Umstände, es sind nicht nur unbeeinflussbare wirtschaftliche oder merkwürdige soziale Prozesse, die die Gesellschaft auseinanderdriften lassen. Auch der Staat, ausgerechnet er, hat dazu beigetragen. Er ist kein ohnmächtiger Akteur. Er kann Bildungs- und Erwerbschancen beeinflussen, er kann durch Steuern und soziale Leistungen korrigierend in das soziale Gefüge eingreifen. Doch zuletzt – in der politischen Diskussion kaum beachtet – trug er eher dazu bei, den Trend zur Ungleichheit zu verstärken, statt ihn zu verringern.

Zwar blieb der Anteil des Bruttoinlandsproduktes, den der Staat über Steuern eingesammelt und neu verteilt hat, über die vergangenen zwanzig Jahre nahezu konstant. Aber in jüngster Zeit gab es zumindest bei der Einkommensteuer und den Sozialabgaben eine Reihe von Entlastungen. Am meisten profitiert haben, so das Ergebnis einer OECD-Untersuchung, alleinstehende Spitzenverdiener. Umgekehrt fällt Deutschland laut dieser Analyse dadurch auf, dass es ausgerechnet alleinstehende Geringverdiener und Alleinerziehende außergewöhnlich stark mit Steuern und vor allem Sozialabgaben belastet. So verstärkte der Staat die Ungleichgewichte noch.


Darauf weisen auch EU-Daten hin, nach denen die Sozialtransfers in Deutschland in den vergangenen Jahren immer weniger dazu beitrugen, die Armut zu verringern. Während die Armut vor Umverteilung – also allein aufgrund von Markteinkommen – in den vergangenen Jahren nur noch minimal zugenommen hat, sah das bei der Armutsquote nach Sozialtransfers ganz anders aus. Sie ist zwar immer geringer als ohne Umverteilung. Aber sie stieg spürbar an, von 12 Prozent auf die bereits erwähnten 15,5 Prozent. Ausgerechnet für die Schwächsten hat der Staat also die Hilfen verringert.

Auch in die Vermögensverteilung greift der Staat heute weniger ein als noch vor wenigen Jahren. Dabei werden Vermögen in Deutschland traditionell schon äußerst gering besteuert. Inzwischen erhebt der Fiskus aber gar keine Vermögenssteuer mehr, und zuletzt wurde die Erbschaftsteuer so reformiert, dass heute ganze Konzerne praktisch steuerfrei vererbt werden können. Stärker wurden die Reichen in der Bundesrepublik wahrscheinlich noch nie entlastet. So trägt neben der unsichtbaren Hand des Marktes heute vor allem die öffentliche Hand dazu bei, dass Deutschland ein anderes Land geworden ist.

Noch mehr ist nicht genug

Artikel der Zeit: http://www.zeit.de/2011/39/Wachstum

Glücklicher macht das Wachstum uns längst nicht mehr. Wichtig wäre eine Debatte über Lebensqualität.

Catherine Austin Fitts misst Lebensqualität an einem Kinderlächeln. Ein warmer Sommertag, ein Gesicht mit strahlenden Augen, die Zunge leckt am Eis. Man braucht nicht lange nach Klischees vom Glück zu suchen: Dieses Bild zeigt eines. Für die Präsidentin der Investmentfirma Solari aber ist es mehr, sie hat daraus den Popsicle-Index entwickelt, benannt nach dem in den USA so beliebten Wassereis. Sie fragt die Einwohner von Stadtvierteln: Glauben Sie, dass ein Kind hier gefahrlos allein ein Eis kaufen kann? Je mehr Nachbarn das positiv sehen, desto höher ist der Index – und desto lebenswerter die Gegend.

Der Popsicle-Index ist eine Spielerei, und doch hat er einen ernsten Kern. Damit Kinder allein zur Eisdiele spazieren können, muss in einem Viertel vieles stimmen. Es muss einen Laden geben. Man muss zu Fuß hinlaufen können, ohne überfahren zu werden. Die Gegend sollte sicher sein. Und Familien müssen sich das Wohnen hier überhaupt leisten können. Ein kleines Eis lässt also erstaunliche Rückschlüsse auf die Lebensqualität zu.

So wie es gute und schlechte Viertel gibt, gibt es auch glücklichere Nationen und weniger glückliche. Denn Lebensqualität, Wohlgefühl oder das, was schon die alten Griechen als »gutes Leben« verstanden, ist mitnichten nur vom Zufall oder den Genen abhängig. Es braucht dafür einen gewissen Wohlstand, aber viel weniger, als viele meinen. Es hat mit Chancen, Bildung, Gesundheit und einer heilen Umwelt zu tun. Und es kommt auf die Verteilung an, gleichere Gesellschaften sind glücklicher als sehr ungleiche. Politik spielt also eine viel umfassendere Rolle für das Glück der Menschen als bislang angenommen. Nur erwähnt das in der politischen Debatte kaum jemand.

Lebensglück gesunken

Sicher, wir debattieren in diesen Tagen endlich wieder über Ungleichheit und Gerechtigkeit. Doch Glück und Politik? Das ist ein Tabu. Und selbst wenn man stattdessen von Lebensqualität spricht, gilt das bestenfalls als weiches Thema. In welchen Ländern die Menschen zufrieden leben, ist meist nur eine Meldung für die bunten Seiten. Hart sind hingegen Zahlen wie Einkommensverteilung oder Wachstumsraten. Die kann man messen, die gestatten Vergleiche. Und wenn eine Volkswirtschaft boomt, schwingt da auch immer mit: Hoppla, jetzt geht es besser. Wachstum ist zum Synonym für gutes Leben geworden.

Das hat fatale Folgen: Mit dem Hinweis darauf, dass wir wettbewerbsfähiger werden müssen, wurden hierzulande Schulzeiten verkürzt, Autobahnen gebaut und Kohlekraftwerke verteidigt. Mit dem Hinweis aufs Wachstum verteidigen Politiker fast jede Maßnahme – so als ob alles andere dann ganz automatisch gut wird. Dabei kann das Gegenteil richtig sein. Zwar hilft ein höheres Sozialprodukt armen Ländern. Doch dass es uns automatisch zufriedener macht, kann man mit gutem Recht bezweifeln. Umfragen belegen eher das Gegenteil. Das Lebensglück der Deutschen, so sagen die meisten Studien, ist in den vergangenen Jahrzehnten gesunken.

Wirtschaftsboom hat dem Land nicht gutgetan

Überraschend ist das nicht: Was nützt der Boom, wenn die Jobs immer stressiger werden, der Druck auf den Einzelnen immer höher? Was nützt der Wohlstand, wenn er vor allem denen da oben zugutekommt und unten die prekären Jobs boomen? Was, wenn wir genau wissen, dass wir unsere Umwelt und die Staatsfinanzen ruinieren, und Angst haben müssen, das spätestens für unsere Kinder das »gute Leben« immer schwieriger zu finden sein wird? Wir alle fühlen doch, dass da etwas schiefläuft. Auch deswegen steht die Gerechtigkeitsfrage stellvertretend für all das Unwohlsein wieder im Raum.

Erschreckt stellen wir fest, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich in den vergangenen Jahren weit geöffnet hat. Mitnichten hat der Wirtschaftsboom allen im Land gutgetan.
Und so wird zum ersten Mal seit Langem wieder über höhere Steuern für die Reichen geredet und über die Lebensverhältnisse der Armen. Das ist gut so, nur greift die Debatte leider nicht weit genug. Denn Gerechtigkeit ist weit mehr als bloß ein bisschen zusätzliche Umverteilung oder ein paar neue Steuern.

Die Briten Richard Wilkinson und Kate Picket, die nach den Zusammenhängen von Wohlstand, Gleichheit und Glück forschen, belegen: Tatsächlich sind in gleicheren Gesellschaften mehr Menschen mit ihrem Leben zufriedener als in ungleichen. Länder wie die USA sind also selbst in Boomzeiten mitnichten das Modell einer guten Gesellschaft. Das liegt vor allem an der ungerechten Einkommensverteilung, allerdings ist der Zusammenhang viel spektakulärer als gemeinhin angenommen. Starke Ungleichheit belastet die Armen in reichen Gesellschaften nicht nur, weil sie wenig haben. Mindestens so entscheidend ist, dass sie weniger als die anderen haben. Dabei zählen zum Weniger auch immaterielle Werte: eine schlechtere Gesundheit, weniger Bildung oder das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Wir nähern uns unweigerlich dem Umwelt-GAU

Interessant ist auch: Diese Ungleichheit ist nicht nur für die Armen anstrengend, sondern auch für die Mittelschicht und sogar für die Reichen – so absurd das im ersten Augenblick scheinen mag. Doch je mehr Gesellschaften auseinanderklaffen, desto mehr wetteifern ihre Bürger darum, viel zu besitzen. Sie geraten in die Tretmühle: jedes Jahr ein bisschen reicher, aber zunehmend gestresster, aber kein bisschen zufriedener. Man kann das in den USA leicht beobachten. Kein anderes Land ist freundlicher zu denen, die es »schaffen«. Wer bezahlen kann, dem stehen die Türen zu den besten Unis offen, zum Leben im richtigen Stadtviertel in einem tollen Haus. Doch verliert jemand seinen Job, dann fällt er schnell und tief: Weg sind nicht nur Haus und Auto, sondern auch die Schule für die Kinder, die Altersvorsorge und die Krankenkasse. So etwas stresst.

Jahrelang galt genau das übrigens als erstrebenswert: Zeichneten sich dynamische Gesellschaften nicht gerade dadurch aus, dass sie durchlässig nach oben und nach unten waren? »Wir sind unglaublich entspannt, wenn Leute stinkreich werden«, sagte Peter Mandelson, der wichtigste Stratege der britischen Labourpartei unter Tony Blair, und brachte damit doch nur den Zeitgeist zum Ausdruck. Reichtum für die da oben war gut, denn nach unten würde schon genug durchfallen, und wachsen würde die Wirtschaft dadurch auch besser.

Was folgt daraus?

Das Problem ist eben nur: Weder haben die so geschaffenen Wachstumsraten die Menschen viel zufriedener gemacht, noch haben sie uns bisher ein Wirtschaftsmodell beschert, das sicher und zukunftsfähig ist. Im Gegenteil: Die Finanzkrise hat deutlich gezeigt, wie wackelig ein Wohlstandsmodell ist, wenn es vor allem auf möglichst großen Zuwachs setzt und auf einen Boom an den Börsen.

Was daraus folgt? Sicher kein Aufruf zur Askese und schon gar nicht an die da unten. Doch wir sollten schon grundsätzlich über die Kriterien sprechen, die in Deutschland möglichst vielen Menschen ein gutes und sicheres Leben ermöglichen – statt stereotyp das Mantra vom »Immer mehr« zu wiederholen.

Die Debatte darüber könnte uns dann ganz nebenbei auch noch bei einem anderen drängenden Problem helfen: beim Entzug der Politiker von der Wachstumsdroge. Bisher brauchten die Regierungen hohe Wachstumsraten wie Ertrinkende das Rettungsboot. Weil sie glauben, nur ein wachsender Haushalt sei ein guter Haushalt. Weil auch sie »immer mehr« mit »immer besser« verwechselt haben. Leider haben wir alle dabei nur verdrängt, dass durch dieses Modell ganz offensichtlich der Globus ruiniert wird. Das ist zwar nicht neu, aber in letzter Zeit wird es offensichtlich. Wir werden zwar nominell noch reicher, aber in Wirklichkeit ärmer. Jede Ölpest ist gut für die Wirtschaft, weil danach das Bruttosozialprodukt steigt. Dabei wachsen wir uns quasi in den Ruin, unser Wirtschaftswunder lebt auf Pump, ökologisch gesehen. Wir ruinieren das Klima, wir schröpfen die Böden und fischen die Meere leer. Und bisher hat es noch niemand geschafft, unser Wachstum wirklich grün zu machen. Es ist auch zweifelhaft, ob das überhaupt möglich ist.

Vor dem Sparen zurückschrecken

Der Klimaberater der Bundeskanzlerin, Hans Joachim Schellnhuber, hält die Hoffnung auf grünes Wachstum für »hochgradig naiv«. Und der Oldenburger Wirtschaftswissenschaftler Nico Paech, einer der wenigen seiner Zunft, die die ökologische Frage mitdenken, spricht von einer »Utopie«. Man müsse sich nur die Zahlen anschauen. Danach verbrauchen wir mit unserem heutigen Lebensstil im Jahr mehr als zwei Welten, und eine Trendwende sei nicht in Sicht. Folglich nähern wir uns unweigerlich dem Umwelt-GAU, beim Klima allemal, aber nicht nur dort. Trotzdem ist das Nachdenken über »weniger« eines der letzten Tabus, unter Ökonomen sowieso, aber auch unter Politikern.

Weniger: Wer das Wort sagt, der müsste erklären, wo und bei wem gespart werden soll. Kein Wunder also, dass die Spitzenpolitiker aller Parteien davor zurückschrecken, selbst die der Grünen. Denn sie können dieses Risiko nur wagen, wenn sie neue Worte dafür finden, wie das Leben dann trotzdem interessant, neu und lebenswert bleibt. Womit wir wieder bei der Verteilungsdebatte wären. Wenn es stimmt, dass materieller Wohlstand unsere Gesellschaften nicht mehr glücklicher macht und sie zugleich in den ökologischen Ruin treibt, warum dann nicht an Alternativen arbeiten?

Die SPD versucht das zaghaft mit einer Fortschrittswerkstatt, bei den Grünen schwappt die Debatte immer mal wieder hoch, und im Bundestag arbeitet dazu nun eine Enquetekommission. Interessanter noch ist jedoch, was im Kleinen, im echten Leben geschieht – beispielsweise in vielen Städten. Da fahren junge Leute heute schon viel weniger Auto und wollen trotzdem mehr Mobilität. Durch Carsharing, neue Kombinationen von Elektroautos und die Bahn bekommen sie genau das: mehr und weniger zugleich. Das Beispiel könnte, denkt man es weiter, zu einer ganz neuen Debatte über privaten Besitz und kollektive Nutzung führen. Kombiniert man »Haben« und »Nutzen« neu, könnten Menschen mit wenig Eigentum trotzdem mehr genießen: in Gemeinschaftsgärten, Bibliotheken, durch Tauschringe und neue Verkehrskonzepte. Das mag utopisch klingen, im Kleinen vielleicht niedlich wirken, im Großen unmöglich.

Aber das meiste Neue hat so begonnen. Durch Zweifel an der Gegenwart.

Dienstag, 20. September 2011

Der Ikea-Check



Vom WDR: http://www.wdr.de/tv/markt/sendungsbeitraege/2011/0801/03_ikeacheck.jsp

Vollgeldinitiative

Repost von: http://schweizerdialog.ch/2010/09/28/ein-vorschlag-zum-masshalten-das-100-prozent-geld/

Ein Vorschlag zum Masshalten: Das 100-Prozent-Geld

Top - 28. September 2010 um 18.00 Uhr , 7 Kommentare Kommentare
Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 hat nicht nur die Finanzbranche selbst ins Trudeln gebracht, sondern auch die Realwirtschaft in höchstem Mass gefährdet. Diese Gefahr konnte nur abgewendet werden durch massive Neuverschuldungen der Staaten. Die Weltwirtschaft hat sich seitdem wieder weitgehend erholt. Die Erholung aufgrund von Staatsverschuldungen ist aber nur eine Erholung auf Zusehen hin. Die Weltwirtschaft bleibt gefährdet, wenn nicht grundsätzliche Reformen erfolgen, die das Problem an der Wurzel anpacken.

Von Hans Christoph Binswanger

Das grundsätzliche Problem ist die – fast – ungezügelte Kredit- und Geldschöpfung und die durch sie finanzierte spekulative Aufblähung von Vermögenswerten (vor allem Aktien), die weit über ihren realen Wert hinaus steigen können. Um dies zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass die Banken immer mehr zu Produzenten von Geld geworden sind. Sie schöpfen Geld, indem sie Kredite vergeben, die den Kreditnehmer als Sichtguthaben auf Girokonten – oder ähnlichen Konten – der Banken verbucht werden. Mit diesen Guthaben kann man mit Hilfe von Überweisungsaufträgen oder Bankkonten zahlen. Sie sind daher Geld, sog. Buchgeld. Dieses Buchgeld kann in Banknoten der Zentralbank, also in Papiergeld, eingelöst werden. Dies geschieht aber nur in geringem Ausmass, weil die Zahlung mit Buchgeld wesentlich einfacher und bequemer ist. Heute besteht die Geldmenge zu ca. 95 % aus Buchgeld und nur zu ca. 5% aus Banknoten. Entscheidend ist, dass bei der Kreditgewährung und der Verbuchung der Kredite auf den Girokonten den Banken keine anderen Guthaben vermindert werden. Die Geldmenge nimmt daher insgesamt in dem Ausmass zu, als die Gewährung neuer Kredite die Rückzahlung alter Kredite übersteigt. Dies war seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 immer der Fall, so dass die Geldmenge seitdem ständig gewachsen ist.

Eine solche Geldvermehrung dient der Realwirtschaft, wenn und solange die Unternehmen, denen die Kredite gewährt werden, sie dazu benötigen, um zusätzliche Arbeitsleistungen, Rohstoffe, Energie und Maschinen zu kaufen und die Produktionskapazität und Produktion zu erhöhen. Auf diese Weise kommt es im Allgemeinen trotz der Erhöhung der Geldmenge nicht zu einer Inflation, sondern vielmehr zu einem Wachstum des realen Sozialprodukts.

Anders ist es, wenn die Kredit- und Geldschöpfung dazu dient, immer mehr Vermögenswerte nachzufragen, in Erwartung, dass diese in Zukunft steigen werden. Wenn diese Erwartung sich gerade dadurch rechtfertigt, dass wegen der zunehmenden Nachfrage die Preise der Vermögensgrössen steigen, kommt es zu einer partiellen Inflation − einer Inflation der Vermögenswerte. Es bildet sich eine Spekulationsblase, die früher oder später platzen muss. Sie platzt dann, wenn die Zentralbanken befürchten müssen, dass die spekulative Geld- und Kreditschöpfung vom Vermögensmarkt auf den Gütermarkt überschwappt und eine Inflation der Güterpreise droht. Dann sind die Zentralbanken entsprechend ihrem Auftrag, eine Inflation der Güterpreise zu verhindern, gezwungen, die Zinsen zu erhöhen, zu denen sich die Banken bei ihnen refinanzieren können. Entsprechend müssen die Banken ebenfalls die Zinsen heraufsetzen. Wenn sie höher werden als die erwartete Steigerung der Vermögenswerte, bricht die Spekulationsblase zusammen. Die Nachfrage nach den Vermögenswerten schrumpft, und damit schrumpfen deren Preise. Daraus entsteht eine Verschuldungskrise – denn alle Kredite sind ja gleichzeitig auch Schulden! Dies führt dazu, dass die Banken nicht nur die Kredite zur Finanzierung von Vermögenskäufen, sondern auch die Kredite zur Finanzierung realer Investitionen einschränken. Dann droht die Verschuldungs- bzw. Finanzkrise in eine Wirtschaftskrise auszuarten.

Dies war der Fall in der Krise 2008/09. Um dieser Drohung zu begegnen, mussten die Staaten den Banken unter die Arme greifen, und um dies zu ermöglichen, sich selber verschulden. Um die Schuldenlast der Staaten nicht zu stark ansteigen zu lassen, und allgemein die Wirtschaft wieder anzukurbeln, waren die Zentralbanken veranlasst, die Zinsen erneut zu senken. Dadurch wurde und wird aber wieder das Potential zu einer nächsten Spekulationsblase und damit zu einer neuen Krise aufgebaut. Die Gefahr ist gross, dass sich dabei wegen der zunehmenden Schuldenlast des Staaten die negativen Folgen potenzieren.

Um dies zu verhindern, drängt es sich auf, auf den Vorschlag zu einer Geld- und Finanzreform von Irving Fisher, dem bedeutendsten amerikanischen Ökonomen des 20. Jahrhunderts zurückzukommen, mit dem er auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 reagiert hat. Er wird heute wieder bzw. erst recht aktuell. Es geht darum, der Zentralbank die Möglichkeit zu geben, aktiv und nicht nur reaktiv die Kredit- und Geldschöpfung so zu steuern, dass sich spekulative Blasen gar nicht erst bilden können. Zu diesem Zweck sollten die Giroguthaben der Banken, d.h. das Buchgeld, zu 100% durch Zentralbankguthaben bzw. Banknoten unterlegt werden müssen. Man spricht daher von «100%-Geld». Dies bedeutet, dass die Banken über die Spargelder hinaus, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, nur soweit neue Kredite geben und damit Geld schöpfen können, als sie im Voraus Zentralbankgeld von der Zentralbank erhalten. Unter dem jetzigen Regime ist eine entsprechende Vorsorgeregelung nicht möglich, weil die Initiative zur Kredit- und Geldschöpfung von den Banken ausgeht, und die Zentralbanken nur im Nachhinein eingreifen können, wenn sich die Kredit- und Geldschöpfung schon zu einer Blase entwickelt hat. Wenn die Zentralbank dann das Steuer umwirft und die Zügel anzieht, folgt notwendigerweise daraus eine Finanzkrise, die stets zu einer Wirtschaftskrise auszuarten droht. Auf diese Weise wird die Wirtschaft immer krisenanfälliger.

Mit einer Vorab-Kontrolle der Geldschöpfung durch die Zentralbank gemäss dem Vorschlag von Irving Fisher und einem zusätzlichen Auftrag an die Zentralbank, nicht nur die Inflation der Güterpreise, sondern auch der Vermögenspreise zu verhindern, kann die Wirtschaft stabilisiert werden, ohne dass es die vielen Einzelregulierungen braucht, die heute diskutiert werden und die die Geschäftstätigkeit der Banken unnötigerweise einschränken.

Die Reformidee von Irving Fisher lässt sich in verschiedener Weise weiterentwickeln. Entscheidend ist, dass sie sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene ernsthaft diskutiert wird, um Wege zu finden, die das Finanz- und Geldwesen wieder auf eine reale Basis stellen, die sie weitgehend verloren hat.

Prof. Dr. Hans Christoph Binswanger ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Den in diesem Beitrag vorgestellten Ansatz vertiefen insbesondere zwei seiner Bücher: Die Wachstumsspirale: Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses (2006) und Vorwärts zur Mäßigung – Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft (2009).

Nach der Krise ist vor der Krise

Zahl der Millionäre weltweit im Jahr 2006 - vor der Weltwirtschaftskrise - in Millionen 9,5
Zahl der Millionäre im Jahr 2010 - nach der Weltwirtschaftskrise - in Millionen 10,9

Weltweites Vermögen aller Millionäre in Billionen Euro 32,2
Weltweite Staatsschulden aller Länder in Billionen Euro 28,2

aus: http://www.brandeins.de/aktuelle-ausgabe/artikel/die-welt-in-zahlen-98.html

Wo Bio-Eier ihren Anfang haben können

Egal ob Käfig- oder Bioeier: am Anfang sind die Küken, und nur die weiblichen müssen ihr kümmerliches Dasein als Legehennen fristen. Die männlichen werden, da es für die Fleischproduktion spezielle Züchtungen gibt, nicht mehr gebraucht, aussortiert und vergast oder vermust. 45 Millionen jedes Jahr alleine in Deutschland.



alternativer link: http://veg-tv.info/K%C3%BCken_sexen
ganze Doku: Mit Herz für Tiere -> http://veg-tv.info/Mit_Herz_f%C3%BCr_Tiere

Montag, 19. September 2011

«Orangen fallen nicht vom Himmel» Was uns der Aufstand in der Hölle angeht


Von Roman Schürmann

Plötzlich müssen wir hinschauen: Jean Duflots Bericht über die Revolte der afrikanischen Landarbeiter im süditalienischen Rosarno macht Zusammenhänge sichtbar, die alle beunruhigen sollten.
Rosarno ist eine kleine Stadt in Kalabrien, ganz im Süden von Italien. Die wirtschaftliche Grundlage bilden von jeher die Produktion von Zitrusfrüchten und der Olivenanbau. In den letzten zwanzig Jahren wurden dazu immer mehr leicht auszubeutende Männer aus Ost­europa, dem Maghreb und aus Afrika südlich des Sahel eingesetzt; seit 2009 steckt die süditalienische Zitrusfrüchteproduktion in der Krise.
Ab dem 7. Januar 2010 tauchte Rosarno in den Schlagzeilen der Weltpresse auf. Nachdem ein Afrikaner mit Schussverletzungen ins Spital eingeliefert worden war, versammelten sich Hunderte von afrikanischen Arbeitern, um gegen diesen Gewaltakt zu protestieren. «Rasch ging die Kundgebung über in ungeordnete gewalttätige Handlungen», schreibt der französische Journalist und Schriftsteller Jean Duflot in seinem Bericht über die Ereignisse von Rosarno, den er im Auftrag des Europäischen BürgerInnenforums verfasst hat. Die Polizeikräfte, die zunächst mit grosser Härte gegen die Demonstrierenden vorgingen, mussten diese bald vor Einheimischen schützen, die mit Eisenstangen und Gewehren bewaffnet waren.Bis in die Nacht des nächsten Tages jagten sie rund um Rosarno alle dunkelhäutigen Menschen: «Raus aus der Stadt, ihr beschissenen Neger! Genug der Affen!» Die Behörden beschlossen, die Arbeiter einzusammeln und wegzuschaffen. Insgesamt gab es über siebzig teilweise schwer Verletzte, die grosse Mehrzahl davon Afrikaner.
Die Anhäufung von Angst
Duflot versucht nicht nur, die Ereignisse möglichst präzise zu rekonstruieren, sondern beschäftigt sich auch mit der zwiespältigen Rolle der Medien. Und fragt dann, wie es zur Revolte von Rosarno kommen konnte. Unmittelbarer Auslöser, so Duflot, waren die elenden Lebensbedingungen der Landarbeiter, die faktisch als Sklaven gehalten wurden. Die Afrikaner verdienten rund zwanzig Euro pro Tag (falls sie Arbeit fanden), konnten sich meist nur eine Mahlzeit täglich leisten und mussten mit primitivsten Unterkünften vorliebnehmen, in denen sie zusammengepfercht hausten. Viele wurden krank und liessen sich nicht behandeln; sie waren der Brutalität der Unternehmer und ihrer Handlanger ausgeliefert und lebten in der permanenten Angst, keine Arbeit zu finden oder von der Polizei kontrolliert, interniert oder ausgewiesen zu werden und ärmer als zuvor in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. «War es», fragt Duflot, «diese chronische Anhäufung von Angst, die letztlich in rasende Wut umschlug?»
Eine gesamteuropäische Strategie
Wichtiger scheint Duflot dann aber, die strukturellen Gründe für den Aufstand und die darauf folgende Hetzjagd zu eruieren. Der Hauptteil seiner Untersuchung geht deshalb weit über Rosarno hinaus. Ausgehend von seinen Analysen zur Rolle des Rassismus, zur ’Ndrangheta – der weltweit operierenden, immer mächtigeren kalabresischen Mafia – sowie zur italienischen und EU-Migrationspolitik erkennt Duflot eine gesamteuropäische Strategie: Zwar werden sogenannt illegale ImmigrantInnen vom Gesetz immer stärker ausgegrenzt, aber «angesichts der geringen tatsächlichen Effizienz der Polizei- und Gerichtsmassnahmen stellt sich die Frage, ob der Unterdrückungsapparat nicht vor allem darauf abzielt, prekarisierte Arbeitskräfte zu schaffen, die dann leicht und billig ausbeutbar sind». Ein Landarbeiter aus Sierra Leone sagt: «Sie wollen Sklaven, die den Mund halten.»
Und sobald die Arbeiter nicht mehr gebraucht werden, geben sie ideale Sündenböcke ab. Mit dem Auffliegen eines betrügerischen Systems zur Abschöpfung von EU-Subventio­nen 2008 in Süditalien und der Rezession 2009 im Gefolge der Finanzkrise war der Anbau von Zitrusfrüchten in Rosarno im Umfeld der immer härteren globalen Konkurrenz kaum mehr profitabel.
«Orangen fallen nicht vom Himmel» von Jean Duflot ist ein nüchterner und erschreckender Bericht, der die komplexen Gründe miteinander in Beziehung setzt. Dadurch gelingt es ihm, zu zeigen, wie dringlich es ist, sich für die auch hierzulande bedrohten Rechte und Freiheiten einzusetzen, die für alle Menschen gelten sollten.
WOZ vom 15.09.2011

Sicherheit demokratisieren!

Die WOZ-Wahlserie (2)

Sicherheit demokratisieren!

Von Katrin Meyer

Die Philosophin Katrin Meyer erklärt, wie sich der konservative und der liberale Sicherheitsbegriff ergänzen. Und wie die Linke aus dieser doppelten Umzingelung ausbrechen könnte.

«Der Mythos der sicheren Schweiz ist überholt», so lautet das Fazit einer von den kantonalen Polizeikommandanten beauftragten Opfer­befragung vom August 2011. Sie zeigt, dass sich die Schweiz in Hinsicht auf Kriminalität und Sicherheit nur noch im europäischen Mittelfeld bewegt. Die Forderungen der Studienmacher­Innen und -auftraggeberInnen, wen wunderts, decken sich: Sie kritisieren das milde Strafrecht und fordern eine Aufstockung der Polizei.

Dieses Beispiel ist nur eines unter vielen. Das Ausmessen der Ängste der Bevölkerung und die statistische Erfassung von Verbrechen mitsamt den manchmal abenteuerlichen Interpretationen ihrer Ursachen und Korrelationen sind das tägliche Geschäft von Medien, Behörden und Politik. Und dies gilt nicht nur für die Schweiz, sondern für die westliche Politik generell.

Sicherheit ist in der Gegenwart eine der grundlegenden, viele meinen: die grundlegende Aufgabe der westlichen Staaten geworden. Diese Aufgabe ist kein Produkt des Zeitgeistes, sondern lässt sich bis zu den Ursprüngen moderner Staatlichkeit zurückverfolgen. Im 17. Jahrhundert formulierte der englische Philosoph Thomas Hobbes als einer der Ersten, dass die Aufgabe des Staates nicht mehr darin liege, einem (göttlichen) Gerechtigkeitsprinzip Genüge zu tun, sondern darin, den Bürgerkrieg zu verhindern und Leib, Leben und Eigentum der (männlichen) Untertanen zu schützen. Der Staat lässt sich nach Hobbes nur dadurch rechtfertigen, dass er Ruhe und Ordnung herzustellen vermag. Seither sind der Respekt vor Law and Order und die Angst vor Bürgerkrieg und Anarchie zentrale Bausteine jeder staatlichen Politik.

Die beiden Extreme

Die Legitimation des Staates durch seine Sicherheitsaufgabe kommt historisch in zwei Extremen vor: einer maximal-absolutistischen und einer liberal-minimalistischen. Die eine Variante mündet im illiberalen Staat, in dem die Freiheitsrechte des Individuums dem staatlichen Monstrum des «Leviathans» (Hobbes) geopfert werden. Demnach dürfen, wenn Gefahr droht, liberale Grundrechte wie der Datenschutz, die Versammlungs- und Pressefreiheit oder Grundsätze der Verhältnismässigkeit der Strafe aufgehoben werden, denn im Namen der Sicherheit herrscht der Staat im permanenten Ausnahmezustand. Diese Entwicklung, die Hobbes gedanklich vorbereitet hat, bestimmt die konservative Sicherheitspolitik bis heute. Einschlägig dafür sind in der Schweiz die Eingrenzungen, Zwangsausschaffungen, nächtlichen Ausgangssperren, Demonstrationsverbote und vieles mehr, das im Namen der Sicherheit gegen Arme und Schutzlose, gegen Kranke, Junge und politisch Aufmüpfige aufgeboten wird. Kulminationspunkt dieser Massnahmen ist der omnipräsente nationalistische Diskurs, der alles Fremde mit einer potenziellen Gefahr gleichsetzt und alles Gefährliche «verfremdet».

Das andere Extrem mündet in einem Minimalstaat, in dem die Aufgabe des Staates nur noch darin besteht, das Gewaltmonopol aufrechtzuerhalten, um Delikte gegen das Eigentum zu ahnden und die Vertragsfreiheit zu schützen. Der US-amerikanische Philosoph Robert Nozick meint in diesem Sinn, der Staat sei nichts anderes als eine Schutzorganisation, bei der die BürgerInnen über Steuerabgaben «Sicherheitsleistungen» beziehen können. Der Staat soll also gerade nicht in die liberalen Freiheitsrechte der Individuen eingreifen, sondern beschränkt sich als Sicherheitsanbieter auf die Dienstleistung der Armee und der Justiz. Nozicks Konzeption des Minimalstaates, die in den siebziger Jahren erschien, ist mittlerweile neoliberal weiterentwickelt worden. Demnach muss der Staat nicht mehr selbst eine Armee und eine Polizei unterhalten, sondern er kann die Schutzleistungen seinerseits bei privaten Sicherheitsfirmen und Söldnerheeren kaufen.

Im Zusammenspiel

Wenn sich eine politische Partei, in den Worten von Antonio Gramsci, dadurch hegemo­nial und mehrheitsfähig macht, dass sie unterschiedliche Interessen zusammenbinden und durch ein übergeordnetes Prinzip anführen kann, dann dürfte wohl «Sicherheit» im Moment ein solches hegemoniales Konzept sein. So ist es das Merkmal der westlichen und auch der Schweizer Sicherheitspolitik, dass sich der illibe­rale und der liberale Sicherheitsbegriff bes­tens verbinden lassen, auch wenn sich an einzelnen Punkten Reibungsflächen ergeben. Im Zusammenspiel beider etabliert sich ein Staatsgefüge, das stark und minimalistisch zugleich ist. Stark ist der Sicherheitsstaat in Bezug auf das souveräne Recht, über das Gewalt­monopol zu verfügen und zum Schutz von Leben und Eigentum notfalls auch brachial einzusetzen; minimalis­tisch ist er insofern, als dabei die ökonomische Freiheit derjenigen, die über Kapital verfügen, nicht eingeschränkt wird. Diese ökonomische Freiheit ist sicherheitstheoretisch paradox, weil sie erlaubt, vitale Bedürfnisse von Menschen zugunsten der Gewinnmaximierung zu miss­achten. Der deregulierte Kapitalismus produziert demnach aus sich selbst, wie es die Berliner Geschlechterforscherin Katharina Pühl nennt, die «Entgarantierung und Prekarisierung» von sozialer Sicherheit, die wiederum den illiberalen Staat als Hüter von Recht und Ordnung auf den Plan ruft.

Die Linke ist durch diese doppelte Umzingelung durch einen illiberalen und liberalen Sicherheitsdiskurs völlig überrumpelt. Dies zeigt sich am hilflosen Sicherheitspapier der SP Schweiz, in dem aus den rechten Sicherheitsdiskursen einzelne repressive Massnahmen wie Videoüberwachung und mehr Polizei herausgepickt und mit der Idee einer präventiven Sicherheitspolitik durch Integrations- und Therapiemassnahmen verbunden werden. Dieser unkritische Glaube an die Prävention klammert nicht nur die Gewalt solcher Normierungs- und Normalisierungsprozesse völlig aus, sondern er hält auch an einem traditionellen Sicherheitsbegriff fest, der staatliche Massnahmen durch den (präventiven) Schutz und die Verteidigung vor feindlichen Individuen legitimiert.

Was also kann die Linke den hegemonialen Sicherheitsdiskursen entgegenhalten, wenn sie sich nicht aus den Diskursen zurückziehen und das Feld den Falken und Systemschützer­Innen überlassen will, die sich gegenseitig den Ball zuspielen? Im Zentrum steht die Aufgabe, den Begriff der Sicherheit neu zu bestimmen. Dazu möchte ich zwei Denkachsen vorschlagen.

Die Verletzbarkeit anerkennen

Die erste Perspektive verbleibt im traditionellen Verständnis von Sicherheit als Gefahrenabwehr, verschiebt aber die Aufmerksamkeit auf strukturelle Gefahrenlagen. Sicherheit bedeutet in einer linken, globalen und egalitären Perspektive primär Schutz vor Ausbeutung, ökologischer Zerstörung, rassistischer und sexistischer Gewalt und Unrechtspolitik generell. Gerade das gegenwärtige ökonomische System trägt aber zur Lösung dieser Probleme nichts bei, sondern verschärft sie, weil der Finanzmarkt riskantes Handeln systematisch belohnt. Wenn gemäss Niklas Luhmann Gefahren von Risiken dadurch unterschieden sind, dass Letztere ein Effekt des Handelns oder Unterlassens, Erstere aber nicht beeinflussbare Bedrohungen sind, dann besteht der grosse Trick des kapitalistischen Systems darin, dass es alle Gefahren in gewinnträchtige Risiken transformiert. Dabei gilt: Je riskanter eine Anlage ist, desto höher steigt das Gewinnpotenzial, wobei für Verluste wiederum Rückversicherungen einstehen. Weil es also möglich ist, an jeder Nahrungsmittelknappheit und an jedem AKW-Unfall Geld zu verdienen, wird das auf Gewinnmaximierung ausgerichtete System angeregt, Bedrohungslagen nicht zu überwinden, sondern zu bewirtschaften und auszubeuten. Eine linke Sicherheitspolitik muss sich dagegen wehren. Staaten dürfen nicht zu billigen Rückversicherungen für die Risikospekulation werden und Menschen dieser Spekulation ausliefern. Das Wirtschaftssystem ist so zu gestalten, dass es die Verletzbarkeit menschlichen Lebens anerkennt und dem, worauf spekuliert werden darf, Grenzen setzt.

Verlässlichkeit statt Verteidigung

Die zweite Perspektive auf Sicherheit, derer sich die Linke annehmen sollte, konzentriert sich auf das Konzept von Sicherheit selbst. Demnach sollte aus einer demokratischen Perspektive Sicherheit nicht nur als ein Zustand der Verteidigung, im Sinne der Abwehr von Gefahr, sondern auch als ein Verhältnis der Verlässlichkeit und des Vertrauens gedeutet werden. Sicher ist nicht nur, wer sich gegen Gefahren wehren, sondern vor allem auch, wer sich auf etwas verlassen kann. Dies bedeutet, die Prämissen des klassischen Sicherheitsdenkens um 180 Grad zu kehren.

Seit Thomas Hobbes gilt die These, dass sich aus der unreglementierten Begegnung zwischen Menschen Streit, Krieg und Chaos entwickeln. Jedes Individuum ist primär allein und jeder andere Mensch ist ein potenzieller Feind. Nicht zuletzt die feminis­tische Philosophie hat kräftig an diesen Thesen gerüttelt. Denn damit Menschen überhaupt zu Individuen werden, die sich vor anderen schützen können, sind sie zuerst auf andere angewiesen. Die anderen Menschen sind nicht primär die Feinde, sondern jene, auf die man sich verlassen können muss, um überhaupt eine handlungsfähige Person zu werden.

Damit sich Vertrauen herausbilden kann, ist es aber wiederum nötig, dass Menschen miteinander zu tun haben. In diesem Sinn ist jede Ausweitung der demokratischen Praxis ein Beitrag zu einer Sicherheits­politik. In den hegemonialen Diskursen ist dieses Sicherheitsverständnis derzeit nicht aktuell. Im Gefolge der militanten Rechten hätschelt die Schweizer Bevölkerung vielmehr ihre Feindbilder und rüstet sich innerlich und äusserlich auf. Demokratie wird missverstanden als das Recht einer Gruppe, ihr Hab und Gut mit allen Mitteln gegen andere zu verteidigen. Wenn Sicherheit aber darin besteht, sich auf andere verlassen und anderen vertrauen zu können, dann führt kein Weg daran vorbei, demokratisches Handeln aus dem staatlich-nationalistischen Korsett zu befreien und eine nicht staatliche Politik zu fördern. Was anders könnte Sicherheit bedeuten? Worauf wäre sonst noch Verlass, wenn nicht dar­auf, dass sich Vertrauen herstellt, wenn Menschen egalitär miteinander umgehen und sich gleiche Macht zugestehen?


Donnerstag, 15. September 2011

Waltz with Bashir

Das Thema des diesjährigen Fantoche war Anidoc, animierte Dokumentarfilme. Einer der bekanntesten und auch berührendsten ist "Waltz with Bashir" von Ari Folman, in dem er als israelischer Soldat das Massaker von Sabra und Schatila aufarbeitet. (hier leider auf deutsch...):



Alternativer Link: http://www.youtube.com/watch?v=jeHOH6PSbfM

Donnerstag, 1. September 2011