Von Kai Strittmatter
Tages Anzeiger, 21.6.2011
Es ist erst etwas mehr als eineinhalb Jahre her, dass die griechische Politik auf den Kopf gestellt wurde. Das Land bekam Ende 2009 einen neuen Premier namens Georgios Papandreou und die vom Wähler mit Schmach und Schande in die Opposition geprügelte konservative Nea Dimokratia (ND) einen neuen Parteiführer, Antonis Samaras. Damals, als die Ahnung von der Katastrophe noch von der Hoffnung des Neuanfangs begleitet war, da erschien in der Zeitung «Kathimerini» ein Porträt der beiden Politiker, und überschrieben war es: «Besser wird es nicht». Papandreou und Samaras – beide ausgestattet mit der besten Ausbildung an US-Elite-Universitäten, die Geld kaufen kann. Beide zu Hause in der Welt, beide verwurzelt in Griechenland. «Angesichts unserer Probleme», schrieb die Zeitung, «ist der Aufstieg der beiden Politiker das Beste, was wir erwarten durften.»
Im Sommer 2011 ist klar: Beide Männer haben im Angesicht der Krise versagt. Dem Premier spricht zwar keiner den guten Willen ab, jedoch die Kraft und die Durchsetzungsstärke. Papandreou hat gezögert, besänftigt und auf Zeit gespielt, wo Menschen und Märkte klares und starkes Handeln sehen wollten. Und Antonis Samaras? Er hat sich seinem Land in der Zeit höchster Not verweigert. Er blockiert und sabotiert, wo Nation und Europa ein gemeinsames Handeln von Regierung und Opposition sehen wollen.Samaras hat es geschafft, sich im letzten Jahr als Muster jenes verantwortungslosen und selbstsüchtigen Politikertypus zu etablieren, der Griechenland die Krise erst beschert hat. Seine Weigerung, die Sparpolitik mitzutragen, lässt Konservative in ganz Europa mittlerweile um Fassung ringen.
Spross einer wohlhabenden Familie
«Wir wollen morgen keine Ruinen regieren», rief ND-Chef Samaras am Sonntag seinen Parteifreunden zu, bevor er verkündete, die ND werde der Regierung am Dienstag das Misstrauen aussprechen. «Diese Regierung hat das Land schon genug destabilisiert.»Aber wie hiess noch einmal die Partei, die Griechenland bis 2009 regierte? Die die griechische Version der Klientelpolitik und Kleptokratie zwar nicht erfunden hatte, die sie aber auf die Spitze trieb? Die mit kriminellem Schlendrian 2007 und 2009 tatenlos zwei tödlichen Waldbrandkatastrophen zusah? Die die an Brüssel gesendeten Budgetzahlen fälschte? Die im letzten Jahr ihrer Regierung noch einmal schnell mehrere Zehntausend unkündbare Beamtenstellen schuf für Vettern, Onkel, Töchter und Parteifreunde? Genau: Nea Dimokratia. Und wie hiess noch einmal der letzte Kulturminister dieser Partei? Genau: Antonis Samaras.Wie so viele der griechischen Politiker ist auch Samaras Spross einer wohlhabenden Familie. Aussenminister war er schon einmal, von 1989 bis 1992, damals ritt er ultranationalistische Attacken gegen den Nachbarn Mazedonien. Die Wahl zum Parteivorsitzenden gewann er im November 2009 gegen die einstige Aussenministerin Dora Bakoyannis.
Er versprach der ND damals, er werde sie bald zurück an die Regierung führen, als Premier Papandreou ihm letzte Woche jedoch eine Regierung der nationalen Einheit anbot, da liess er ihn auflaufen. Zuvor, sagte Samaras, müsse das Sparpaket neu ausgehandelt werden – wohlwissend, dass EU und IWF dem nie zustimmen würden. Am Donnerstag, einen Tag vor dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs, reist Samaras nach Brüssel, dort werden die konservativen Parteifreunde von der Europäischen Volkspartei den Griechen noch einmal ins Gebet nehmen: Wieso, fragen viele, schaffen die Griechen nicht, was Portugiesen und Iren gelang, nämlich ein einiges Vorgehen von Opposition und Regierung in der Krise?
Im Nationaltrikot ins Ausland
Bislang zeigt Samaras kein Anzeichen des Einlenkens, trotzig verkündete er, er reise nur «im Nationaltrikot» ins Ausland. Letzte Woche sah eine griechische Umfrage seine ND erstmals seit 2009 vor der regierenden Pasok. Aber das ist ein schaler Triumph. In derselben Umfrage sagten vier von fünf Griechen, sie trauten weder der Regierung noch der Opposition. Die endgültige Diskreditierung der politischen Klasse, sie ist auch ein Werk des Antonis Samaras.
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