Privatisierte Gemeinwesen
Die Stadt als Festung
Originalartikel: http://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/die-stadt-als-festung-1.18629764
Überall auf der Welt entstehen derzeit luxuriöse Privatstädte, die einer breiteren Öffentlichkeit keinen Zutritt bieten. Was bedeutet diese Entwicklung für das Gemeinwesen?
Überall auf der Welt entstehen derzeit luxuriöse Privatstädte, die einer breiteren Öffentlichkeit keinen Zutritt bieten. Was bedeutet diese Entwicklung für das Gemeinwesen?
Es
ist ein spektakulärer Plan: Der US-Ökonom Paul Romer will in der
Dritten Welt ganze Städte neu gründen. «Charter Cities» heisst seine
Vision. Das Konzept ist ebenso simpel wie radikal: Ein Entwicklungsland
stellt eine nicht besiedelte Fläche zur Verfügung und schliesst mit
einem Investor bzw. einer Industrienation einen Gründungsvertrag ab,
eine Charta, in der das gesamte Rechtssystem der Stadt festgelegt ist.
Mit frischem Wagniskapital und schlanken Staatsstrukturen soll so eine
prosperierende Metropole aus dem Boden gestampft werden: gleichsam eine
Stadt als Startup. Der Ökonom ist überzeugt, man könne ein zweites
Hongkong überall auf der Welt implantieren, es müssten nur die
Rahmenbedingungen stimmen.
Man kann die Charter City auf die Formel bringen: Die armen Länder liefern das Land, die reichen Know-how und Gesetze. Die Menschen entkleiden sich ihrer demokratischen Mitsprache, in der Hoffnung, einen Arbeitsplatz zu finden. Job gegen Stimmzettel – das ist der Deal. Unter dem Statut der Zede würde zwar das Selbstbestimmungsrecht formal erhalten bleiben, doch die Rechte würden massiv eingeschränkt. Alles würde dem Ziel der Investoren untergeordnet.
Dabei stellt sich die Frage, wem die Stadt eigentlich gehört. Den Bewohnern oder den Geldgebern? In seinem Buch «City of Quartz» zeichnete der amerikanische Historiker und Stadtsoziologe Mike Davis schon 1990 am Beispiel von Los Angeles das Bild einer Hochsicherheitsstadt mit privatisierten Enklaven und Wohnanlagen, die von der Polizei bewacht und geschützt werden. Die Stadt wird zu einer Festung. Solche abgeschotteten Siedlungen sind vielerorts bereits Realität – in Kalifornien genauso wie in Brasilien oder Malaysia. Diejenigen, die es sich leisten können, ziehen sich in die isolierte Welt von Gated Communities zurück. Der grenzenlose Wille zur Sicherung der Stadt, argumentiert Davis, führe zwangsläufig zu einer Abwertung öffentlicher Räume. Das eigentliche öffentliche Leben findet hinter verschlossenen Mauern statt. In Dubai gibt es bereits ganze Stadtteile, deren glitzernde Konsumtempel und Luxuswohntürme grösstenteils im Besitz privater Investoren sind.
Die Occupy-Aktivistin Naomi Colvin sagte gegenüber dem «Guardian»: «Es ist eine Vision einer Gesellschaft, in der man arbeiten und einkaufen kann. Und in Zeiten, wo man weder arbeitet noch shoppt, kann man in Restaurants gehen.» Aus Bürgern werden Konsumenten – ähnlich wie bei Paul Romers Charter City. Hierin zeigt sich die Vorstellung einer konsumistischen Gesellschaft, in der der Einzelne lieber Geld ausgeben als demonstrieren soll. Auf der von Thomas Heatherwick projektierten Garden Bridge in London, einem künftigen städtischen Themenpark, soll dereinst politischer Protest verboten werden und sollen Gruppen von mehr als acht Personen nur nach vorangegangener Reservierung zugelassen werden – und dies, obwohl die öffentliche Hand an diesem Privatprojekt beteiligt ist. Die Verbreitung von gesicherten und privatisierten Plätzen macht das städtische Erlebnis vergleichbar mit einem Besuch in einem exquisiten Klub mit edlem Ambiente. Alles ist schön und gut, aber man muss es sich leisten können.
Nachdem bereits vor zwanzig Jahren die Walt Disney Company die kleine, nach ihren Vorstellungen verwaltete «Idealstadt» Celebration in Florida realisiert hat, entsteht derzeit vor den Toren der nigerianischen Megastadt Lagos ein weit radikaleres Projekt: «Eko Atlantic City». Auf einer künstlichen Insel werden luxuriöse Wohnblöcke, palmengesäumte Avenuen und Wolkenkratzer gebaut. Hier sollen dereinst 250 000 Menschen wohnen und 150 000 Arbeitsplätze in Bürotürmen entstehen, die für Banken aus Afrika, Europa und den USA in den Himmel wachsen werden. Das Projekt könnte eine Vorbildfunktion für die Zukunft übernehmen: eine privatisierte Enklave für Wohlhabende, die sich räumlich von den Slums abgrenzt und über ein eigenes Versorgungsnetz (Strom, Wasser, Gas usw.) verfügt. Die Separation zwischen Arm und Reich gab es ja schon immer. Neu ist hingegen, dass sich Reiche ihre eigenen Städte bauen. In diesen privaten Städten vollzieht sich eine moralische und soziale Sezession von der Gesellschaft. Die idealtypische Polis, die Keimzelle der Demokratie, gerät unter Druck, und der öffentliche Raum verschwindet mehr und mehr.
Der Ökonomieprofessor Alexander T. Tabarrok vom James M. Buchanan Center for Political Economy der George Mason University in Fairfax, Virginia, ist einer der wenigen Intellektuellen, die sich für die Privatstadt engagieren. Im Gespräch sagt er: «Die meisten neuen Städte werden in Entwicklungsländern gebaut, und dort haben die Regierungen beim Thema Armut versagt. Wenn Städte kein Wasser, keinen Strom und keine Kanalisation zu liefern imstande sind, können die Reichen diese Aufgabe durch private Alternativen ersetzen – die Armen können das nicht.» Ein System privater, kompetitiver Städte eröffne die besten Chancen für die effiziente Erbringung öffentlicher Daseinsvorsorge.
Als Beispiel nennt er die indische Stadt Jamshedpur («Steel City»). Sie wurde 1908 von Tata Steel als Arbeiterstadt gegründet. Im Gegensatz zu russigen Schwerindustrierevieren anderswo ist Jamshedpur eine recht ansehnliche Stadt mit grosszügigen Parkanlagen und einem intakten Strassennetz. Die Steel City zählt zu den wohlhabendsten Städten Indiens. «Wir brauchen mehr Städte wie Jamshedpur», fordert Tabarrok. Die Stadt hat insofern exklusiven Charakter, als sie ausschliesslich Mitarbeitern der Tata-Gruppe Zugang zu günstigem Wohnraum verschafft – ähnlich wie einst die Bata-Städte.
Autonome Modellstädte
Im Jahre 2011 verhandelte Romer mit der honduranischen Regierung über die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen (Zonas Especiales de Desarrollo Económico, kurz: Zede), die das Land aus dem Klammergriff der Kriminalität und Korruption befreien sollen. Der Kongress erliess ein Dekret, das den «Modellstädten» vollständige Autonomie, ja fast schon Souveränität gewährte. Gegen die Pläne aber regte sich Widerstand. Namentlich die Volksgruppe der Garifuna, die für den Bau einer Investorenstadt hätte umgesiedelt werden müssen, protestierte gegen das Projekt. Noch bevor die Bagger anrollten, erklärte das Verfassungsgericht die Charter City für verfassungswidrig. Das Projekt unterminiere die nationale Souveränität. Romer zog sich zurück. Unter dem jetzigen konservativen Präsidenten Juan Orlando Hernández soll eine abgespeckte Version in Form einer Sonderverwaltungszone in der Stadt Amapala geschaffen werden, gewissermassen eine «Charter City light». Südkorea hat für das Projekt bereits 40 Milliarden Dollar Unterstützung zugesagt.Man kann die Charter City auf die Formel bringen: Die armen Länder liefern das Land, die reichen Know-how und Gesetze. Die Menschen entkleiden sich ihrer demokratischen Mitsprache, in der Hoffnung, einen Arbeitsplatz zu finden. Job gegen Stimmzettel – das ist der Deal. Unter dem Statut der Zede würde zwar das Selbstbestimmungsrecht formal erhalten bleiben, doch die Rechte würden massiv eingeschränkt. Alles würde dem Ziel der Investoren untergeordnet.
Dabei stellt sich die Frage, wem die Stadt eigentlich gehört. Den Bewohnern oder den Geldgebern? In seinem Buch «City of Quartz» zeichnete der amerikanische Historiker und Stadtsoziologe Mike Davis schon 1990 am Beispiel von Los Angeles das Bild einer Hochsicherheitsstadt mit privatisierten Enklaven und Wohnanlagen, die von der Polizei bewacht und geschützt werden. Die Stadt wird zu einer Festung. Solche abgeschotteten Siedlungen sind vielerorts bereits Realität – in Kalifornien genauso wie in Brasilien oder Malaysia. Diejenigen, die es sich leisten können, ziehen sich in die isolierte Welt von Gated Communities zurück. Der grenzenlose Wille zur Sicherung der Stadt, argumentiert Davis, führe zwangsläufig zu einer Abwertung öffentlicher Räume. Das eigentliche öffentliche Leben findet hinter verschlossenen Mauern statt. In Dubai gibt es bereits ganze Stadtteile, deren glitzernde Konsumtempel und Luxuswohntürme grösstenteils im Besitz privater Investoren sind.
Bürger werden Konsumenten
Städte verkaufen mittlerweile nicht nur Immobilien, sondern auch öffentliche Orte. In Athen soll der alte Flughafen Ellinikon privatisiert und in ein Spielkasino umgewandelt werden, das an die Marina Bay in Singapur erinnert. Der 2012 eröffnete Granary Square in London ist in den Händen eines Investors. Und der Paternoster Square gehört der Mitsubishi Estate Company. Als Mitglieder der Protestbewegung Occupy auf dem Platz nahe der St. Paul's Cathedral demonstrieren wollten, erwirkte Mitsubishi eine einstweilige Verfügung, die den öffentlichen Zugang untersagte. Der Paternoster Square sei ein privater Ort, auf dem das Recht auf Demonstrationsfreiheit keine Anwendung finde, urteilte der High Court. Ein verstörender Vorgang: Ein Konzern darf in einer Stadt über Grundrechte disponieren.Die Occupy-Aktivistin Naomi Colvin sagte gegenüber dem «Guardian»: «Es ist eine Vision einer Gesellschaft, in der man arbeiten und einkaufen kann. Und in Zeiten, wo man weder arbeitet noch shoppt, kann man in Restaurants gehen.» Aus Bürgern werden Konsumenten – ähnlich wie bei Paul Romers Charter City. Hierin zeigt sich die Vorstellung einer konsumistischen Gesellschaft, in der der Einzelne lieber Geld ausgeben als demonstrieren soll. Auf der von Thomas Heatherwick projektierten Garden Bridge in London, einem künftigen städtischen Themenpark, soll dereinst politischer Protest verboten werden und sollen Gruppen von mehr als acht Personen nur nach vorangegangener Reservierung zugelassen werden – und dies, obwohl die öffentliche Hand an diesem Privatprojekt beteiligt ist. Die Verbreitung von gesicherten und privatisierten Plätzen macht das städtische Erlebnis vergleichbar mit einem Besuch in einem exquisiten Klub mit edlem Ambiente. Alles ist schön und gut, aber man muss es sich leisten können.
Nachdem bereits vor zwanzig Jahren die Walt Disney Company die kleine, nach ihren Vorstellungen verwaltete «Idealstadt» Celebration in Florida realisiert hat, entsteht derzeit vor den Toren der nigerianischen Megastadt Lagos ein weit radikaleres Projekt: «Eko Atlantic City». Auf einer künstlichen Insel werden luxuriöse Wohnblöcke, palmengesäumte Avenuen und Wolkenkratzer gebaut. Hier sollen dereinst 250 000 Menschen wohnen und 150 000 Arbeitsplätze in Bürotürmen entstehen, die für Banken aus Afrika, Europa und den USA in den Himmel wachsen werden. Das Projekt könnte eine Vorbildfunktion für die Zukunft übernehmen: eine privatisierte Enklave für Wohlhabende, die sich räumlich von den Slums abgrenzt und über ein eigenes Versorgungsnetz (Strom, Wasser, Gas usw.) verfügt. Die Separation zwischen Arm und Reich gab es ja schon immer. Neu ist hingegen, dass sich Reiche ihre eigenen Städte bauen. In diesen privaten Städten vollzieht sich eine moralische und soziale Sezession von der Gesellschaft. Die idealtypische Polis, die Keimzelle der Demokratie, gerät unter Druck, und der öffentliche Raum verschwindet mehr und mehr.
Der Ökonomieprofessor Alexander T. Tabarrok vom James M. Buchanan Center for Political Economy der George Mason University in Fairfax, Virginia, ist einer der wenigen Intellektuellen, die sich für die Privatstadt engagieren. Im Gespräch sagt er: «Die meisten neuen Städte werden in Entwicklungsländern gebaut, und dort haben die Regierungen beim Thema Armut versagt. Wenn Städte kein Wasser, keinen Strom und keine Kanalisation zu liefern imstande sind, können die Reichen diese Aufgabe durch private Alternativen ersetzen – die Armen können das nicht.» Ein System privater, kompetitiver Städte eröffne die besten Chancen für die effiziente Erbringung öffentlicher Daseinsvorsorge.
Als Beispiel nennt er die indische Stadt Jamshedpur («Steel City»). Sie wurde 1908 von Tata Steel als Arbeiterstadt gegründet. Im Gegensatz zu russigen Schwerindustrierevieren anderswo ist Jamshedpur eine recht ansehnliche Stadt mit grosszügigen Parkanlagen und einem intakten Strassennetz. Die Steel City zählt zu den wohlhabendsten Städten Indiens. «Wir brauchen mehr Städte wie Jamshedpur», fordert Tabarrok. Die Stadt hat insofern exklusiven Charakter, als sie ausschliesslich Mitarbeitern der Tata-Gruppe Zugang zu günstigem Wohnraum verschafft – ähnlich wie einst die Bata-Städte.