Montag, 21. Mai 2012
Willkommen im Hype-Kapitalismus
Der Facebook-Börsengang war vor allem heisse Luft. Die Episode ist das Symptom eines Systems, das vom Hurra-Geschrei seiner Bewunderer und Profiteure lebt. Die grosse Glocke übertönt die Dauerkrise.
Die Medien überschlugen sich: Lohnschreiber tippten sich die Finger wund, TV-Reporter berichteten aufgeregt und live von der Börse und durch das Internet stapfte allenthalben der Firmengründer als Leitfigur: Hereinspaziert zum Hype-Kapitalismus, wie er sich beim insgesamt doch eher laschen Börsengang von Facebook manifestierte und als weiteres Anzeichen für die systemische Krise des geltenden Wirtschaftsmodells zu deuten ist.
Denn der Hype-Kapitalismus lebt vom übertünchenden Hurra-Geschrei seiner Bewunderer und Profiteure und paart sich mit den spekulativen Auswüchsen eines Finanz- und Bankenwesens, das in den Worten des ehemaligen US-Notenbankchefs Paul Volcker seit der Einführung des Bankomaten nichts mehr erschaffen hat, was der Allgemeinheit wirklich gedient hätte. Das geschäftige Gewusel des Hype-Kapitalismus wird zudem untermalt von kultischen Elementen, wie sie etwa bei der Vorstellung eines neuen iPads oder iPhone zu beobachten sind: Die Bühne wird zum Geschäftsmodell, der Entrepreneur zum Magier.
Kapitalismus als prickelnde Unterhaltung
Die wachsende und für das Funktionieren von Demokratien tödliche soziale Ungleichheit übersieht der Hype-Kapitalismus geflissentlich. Ihm geht es zuvorderst um prickelnde Unterhaltung sowie die Verklärung der «Job Creators» als Schaffer von Arbeitsplätzen und mithin Helden, deren Steuerlast möglichst niedrig sein muss und denen Angestellte und Bürger gefälligst auf den Knien zu danken haben.
Verglichen damit war der amerikanische Kapitalismus der fünfziger Jahre allemal erfolgreicher, allerdings mit Spitzensteuersätzen von rund 90 Prozent und einer gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft, die am Segen wachsender Produktiviät teilhaben durfte und eben jene Mittelklasse konstituierte, die zunehmend ausfranst.
Die Schreihälse sind am Zug
Aber jetzt sind eben die Schreihälse am Zug, deren Modell vor allem einer grossen Glocke bedarf, an die möglichst lautstark alles gehängt wird, was sich vergolden oder versilbern lässt. Dass die Facebook-Aktie am Freitag an der New Yorker Börse wie ein alter Plastikeimer in der Brandung dümpelte, wird dem Hype-Kapitalismus ebensowenig Abbruch tun wie ein mögliches Absacken des Zuckerberg-Papiers, wenn zuerst die Leerverkäufer antreten und danach die Facebook-Insider ihre Aktien auf den Markt werfen.
Immerhin unterhielt die New Yorker Show am Freitag prächtig und lenkte obendrein von der allgemeinen Dauerkrise ab, obschon wir uns ausgiebiger mit Mark Zuckerbergs Hochzeit hätten befassen sollen und weniger mit seinem Börsengang. Die Verehlichung des Facebook-Gründers war schliesslich real und greifbar und wirklich.
Ein Kommentar von Martin Kilian, Washington. Aktualisiert am 20.05.2012, Tages-Anzeiger online
Mittwoch, 9. Mai 2012
Spekulation mit Lebensmitteln Allianz als Hungermacher
Spekulation mit Lebensmitteln Allianz als Hungermacher
09.05.2012, 10:53
Von Michael Bauchmüller und Alexander Hagelüken
Die Finanzwelt muss sich seit kurzem mit einem heiklen Thema befassen: Spekulation mit Nahrungsmitteln. Nun klagt die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam die Allianz an. Der deutsche Versicherungskonzern verstärke den Hunger in der Welt. Geht es nach der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam, wird es für den Allianz-Vorstand an diesem Mittwoch ungemütlich. Bei der Hauptversammlung in München werden kritische Aktionäre beantragen, den Vorstand nicht zu entlasten. Der Grund: Das Unternehmen spekuliere mit Nahrungsmitteln - und zwar wie kein zweiter deutscher Konzern. Die Finanzwelt muss sich seit dem vergangenen Herbst mit dem heiklen Thema befassen. Damals beschrieb ein Bericht der Organisation Foodwatch den Zusammenhang zwischen Nahrungsmittelspekulation und Hungersnöten. Als Nummer fünf im globalen Rohstoffhandel stand seinerzeit vor allem die Deutsche Bank am Pranger, die daraufhin zumindest zusagte, die fragwürdigen Geschäfte zu überprüfen. "Mit Besorgnis verfolgt auch die Deutsche Bank, dass immer wieder Menschen unter Nahrungsmittelknappheit leiden müssen", schrieb das Geldhaus wenige Monate später. Weitere "börsengehandelte Anlageprodukte auf der Basis von Grundnahrungsmitteln" würden nicht aufgelegt, so lange eigene Untersuchungen der Bank nicht abgeschlossen seien. Sie sind im Gange. Doch eine Studie von Oxfam, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, rückt nun auch den Münchner Allianz-Konzern in den Fokus. Nach Recherchen der Organisation handelt der Versicherer wie kein zweites deutsches Unternehmen an Warenterminbörsen mit Nahrungsmitteln. In fünf Fonds setze das Unternehmen demnach auf steigende Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse, insbesondere über die zum Konzern gehörende Kapitalanlage-Gesellschaft Pimco. Der Studie zufolge hatte die Allianz 2011 mehr als 6,2 Milliarden Euro in solche Fonds investiert, die Deutsche Bank knapp 4,6 Milliarden Euro. In einem globalen Markt, den Analysten auf rund 70 Milliarden Euro schätzen, kämen allein diese beiden Geldinstitute auf einen Anteil von rund 14 Prozent. Manche Anbieter haben die Reißleine gezogen Der Zusammenhang zwischen Termingeschäften und Hunger ist für Oxfam evident. Der Handel mit Agrar-Rohstoffderivaten stieg - einer Barclays-Untersuchung zufolge - von neun Milliarden Dollar im Jahr 2003 auf 99 Milliarden Dollar acht Jahre später. Schon ohne solche Geschäfte sei die Nahrungsmittelproduktion in armen Ländern in den vergangenen Jahren deutlich erschwert worden, schreibt Oxfam - sei es durch den Klimawandel, sei es wegen der Vertreibung von Kleinbauern durch Großinvestoren oder sei es aufgrund der zunehmenden Erzeugung von Biokraftstoffen auf Flächen, die vormals Nahrungsmittel abwarfen.Manche Anbieter haben die Reißleine gezogen Dadurch werde der Markt insgesamt instabiler, die Preise schwankten stärker. "Genau darauf wetten Nahrungsmittelspekulanten", heißt es in der Oxfam-Studie (Titel: "Mit Essen spielt man nicht"): "Sie beschleunigen existierende Trends und treiben Preisaufschläge auf die Spitze." Die Folge für die Ärmsten sei zwangsläufig Hunger. "Menschen in armen Ländern geben bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus", sagt Frank Braßel, Leiter der Oxfam-Kampagne. Die seien "den Preissprüngen durch die Spekulation mit Nahrungsmitteln schutzlos ausgeliefert". Die deutsche Finanzwirtschaft reagiert unterschiedlich auf die Vorwürfe. Während die Deutsche Bank zwar prüft, aber ansonsten bestehende Fonds einstweilen weiterlaufen lässt, haben die Deka-Fonds im vorigen Monat die Reißleine gezogen. Zwar seien die Auswirkungen noch nicht "hinreichend und abschließend" geklärt, argumentierte die Sparkassen-Finanzgruppe - allerdings gebe es auch keine Entwarnung. Weswegen sich die Deka aus dem Geschäft mit Grundnahrungsmitteln wie Weizen und Soja bis Ende des Jahres zurückziehe. Ein Allianz-Sprecher erklärt zu den Vorwürfen, Ursachen der hohen Nahrungsmittelpreise seien vor allem Bevölkerungswachstum, Klimawandel, politische Krisen oder Biosprit - und nicht der Derivatehandel. Für den Oxfam-Mann Braßel ist das kein Argument: "Viele der Gründe, warum Menschen hungern, können wir nicht beeinflussen. Aber die Spekulation mit Nahrungsmitteln könnten wir sofort stoppen." Aus Sicht der Allianz stellen sich die Dinge anders dar. Der Finanzkonzern investiere weniger als ein Prozent seiner Anlagen in Nahrungsmittelderivate. "Unsere Fonds setzen dabei nicht gezielt auf steigende Preise", sagt ein Sprecher, an den Finanzmärkten lasse sich ja auch auf fallende Preise setzen. Außerdem betont die Allianz, dass sie Geld in Hersteller von Düngemitteln oder Maschinen investiert - und die würden die Produktion von Nahrungsmitteln ankurbeln und den Hunger begrenzen. Kein Wunder, dass der Konzern die Oxfam-Forderung ablehnt, die Spekulation mit Nahrungsmitteln zu stoppen: "Ein Ausstieg steht zurzeit nicht zur Debatte."
sueddeutsche.de wirtschaft
Von Michael Bauchmüller und Alexander Hagelüken
Die Finanzwelt muss sich seit kurzem mit einem heiklen Thema befassen: Spekulation mit Nahrungsmitteln. Nun klagt die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam die Allianz an. Der deutsche Versicherungskonzern verstärke den Hunger in der Welt. Geht es nach der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam, wird es für den Allianz-Vorstand an diesem Mittwoch ungemütlich. Bei der Hauptversammlung in München werden kritische Aktionäre beantragen, den Vorstand nicht zu entlasten. Der Grund: Das Unternehmen spekuliere mit Nahrungsmitteln - und zwar wie kein zweiter deutscher Konzern. Die Finanzwelt muss sich seit dem vergangenen Herbst mit dem heiklen Thema befassen. Damals beschrieb ein Bericht der Organisation Foodwatch den Zusammenhang zwischen Nahrungsmittelspekulation und Hungersnöten. Als Nummer fünf im globalen Rohstoffhandel stand seinerzeit vor allem die Deutsche Bank am Pranger, die daraufhin zumindest zusagte, die fragwürdigen Geschäfte zu überprüfen. "Mit Besorgnis verfolgt auch die Deutsche Bank, dass immer wieder Menschen unter Nahrungsmittelknappheit leiden müssen", schrieb das Geldhaus wenige Monate später. Weitere "börsengehandelte Anlageprodukte auf der Basis von Grundnahrungsmitteln" würden nicht aufgelegt, so lange eigene Untersuchungen der Bank nicht abgeschlossen seien. Sie sind im Gange. Doch eine Studie von Oxfam, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, rückt nun auch den Münchner Allianz-Konzern in den Fokus. Nach Recherchen der Organisation handelt der Versicherer wie kein zweites deutsches Unternehmen an Warenterminbörsen mit Nahrungsmitteln. In fünf Fonds setze das Unternehmen demnach auf steigende Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse, insbesondere über die zum Konzern gehörende Kapitalanlage-Gesellschaft Pimco. Der Studie zufolge hatte die Allianz 2011 mehr als 6,2 Milliarden Euro in solche Fonds investiert, die Deutsche Bank knapp 4,6 Milliarden Euro. In einem globalen Markt, den Analysten auf rund 70 Milliarden Euro schätzen, kämen allein diese beiden Geldinstitute auf einen Anteil von rund 14 Prozent. Manche Anbieter haben die Reißleine gezogen Der Zusammenhang zwischen Termingeschäften und Hunger ist für Oxfam evident. Der Handel mit Agrar-Rohstoffderivaten stieg - einer Barclays-Untersuchung zufolge - von neun Milliarden Dollar im Jahr 2003 auf 99 Milliarden Dollar acht Jahre später. Schon ohne solche Geschäfte sei die Nahrungsmittelproduktion in armen Ländern in den vergangenen Jahren deutlich erschwert worden, schreibt Oxfam - sei es durch den Klimawandel, sei es wegen der Vertreibung von Kleinbauern durch Großinvestoren oder sei es aufgrund der zunehmenden Erzeugung von Biokraftstoffen auf Flächen, die vormals Nahrungsmittel abwarfen.Manche Anbieter haben die Reißleine gezogen Dadurch werde der Markt insgesamt instabiler, die Preise schwankten stärker. "Genau darauf wetten Nahrungsmittelspekulanten", heißt es in der Oxfam-Studie (Titel: "Mit Essen spielt man nicht"): "Sie beschleunigen existierende Trends und treiben Preisaufschläge auf die Spitze." Die Folge für die Ärmsten sei zwangsläufig Hunger. "Menschen in armen Ländern geben bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus", sagt Frank Braßel, Leiter der Oxfam-Kampagne. Die seien "den Preissprüngen durch die Spekulation mit Nahrungsmitteln schutzlos ausgeliefert". Die deutsche Finanzwirtschaft reagiert unterschiedlich auf die Vorwürfe. Während die Deutsche Bank zwar prüft, aber ansonsten bestehende Fonds einstweilen weiterlaufen lässt, haben die Deka-Fonds im vorigen Monat die Reißleine gezogen. Zwar seien die Auswirkungen noch nicht "hinreichend und abschließend" geklärt, argumentierte die Sparkassen-Finanzgruppe - allerdings gebe es auch keine Entwarnung. Weswegen sich die Deka aus dem Geschäft mit Grundnahrungsmitteln wie Weizen und Soja bis Ende des Jahres zurückziehe. Ein Allianz-Sprecher erklärt zu den Vorwürfen, Ursachen der hohen Nahrungsmittelpreise seien vor allem Bevölkerungswachstum, Klimawandel, politische Krisen oder Biosprit - und nicht der Derivatehandel. Für den Oxfam-Mann Braßel ist das kein Argument: "Viele der Gründe, warum Menschen hungern, können wir nicht beeinflussen. Aber die Spekulation mit Nahrungsmitteln könnten wir sofort stoppen." Aus Sicht der Allianz stellen sich die Dinge anders dar. Der Finanzkonzern investiere weniger als ein Prozent seiner Anlagen in Nahrungsmittelderivate. "Unsere Fonds setzen dabei nicht gezielt auf steigende Preise", sagt ein Sprecher, an den Finanzmärkten lasse sich ja auch auf fallende Preise setzen. Außerdem betont die Allianz, dass sie Geld in Hersteller von Düngemitteln oder Maschinen investiert - und die würden die Produktion von Nahrungsmitteln ankurbeln und den Hunger begrenzen. Kein Wunder, dass der Konzern die Oxfam-Forderung ablehnt, die Spekulation mit Nahrungsmitteln zu stoppen: "Ein Ausstieg steht zurzeit nicht zur Debatte."
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