Der preisgekrönter Dokumentarfilm von Marcus Vetter und Karin Steinberger zeigt berührende Porträts betroffener Menschen aus Kenia und Mauretanien.
Dienstag, 17. Januar 2012
Dokufilm übt massiv Kritik an Nestlé
Tages-Anzeiger.ch vom 17.01.2011
Von Romeo Regenass.
«Bottled Life» zeigt, wie unzimperlich Nestlé das globale Geschäft mit abgefülltem Wasser betreibt.
Es ist eine der Schlüsselszenen im Dokumentarfilm «Bottled Life» des Berner Filmemachers Urs Schnell und des Zürcher Journalisten Res Gehriger: Ein früherer Gemeinderat aus Bhati Dilwan, dem Standort von Nestlés (NESN 53.1 0.09%) Wasserabfüllfabrik Sheikhupura in Pakistan, klagt über das dreckige Trinkwasser, das Kinder krank mache. Mit seinem Tiefbrunnen nehme Nestlé der Bevölkerung das Wasser weg. «Jetzt ist unser Wasser sehr dreckig, der Wasserspiegel sank von 100 auf 300 bis 400 Fuss.» Den Wunsch des Dorfes nach einer Leitung mit sauberem Wasser oder zumindest einem tiefen Ziehbrunnen habe Nestlé abgelehnt.
Das notorisch schlechte Trinkwasser, das in Pakistan und anderswo aus öffentlichen Wasserleitungen fliesst, ist die Grundlage des Erfolgs der Marke Pure Life. Vor gut zehn Jahren hat der Nahrungsmittelkonzern begonnen, Grundwasser mit Mineralien zu versetzen und in Flaschen abzufüllen. Vor der Lancierung der Marke in Pakistan hatte Nestlé über ein PR-Büro Seminare organisiert, in denen Beamte aus dem Gesundheitsministerium die Qualität des Trinkwassers bemängelten und darauf hinwiesen, dass lokale Wassermarken kontaminiertes Wasser enthielten. «Pure Sicherheit, pures Vertrauen», bewarb Nestlé sein Wasser. Heute ist Pure Life die grösste Wassermarke der Welt, für John Harris, Chef von Nestlé Waters, ist sie «ein Juwel in unserem Portfolio».
«Ein krimineller Akt»
Angesichts der Tatsache, dass jeden Tag mehr Kinder an verschmutztem Wasser sterben als an Aids, Krieg, Verkehrsunfällen und Malaria zusammen, ist für Maude Barlow, eine frühere Chefberaterin für Wasserfragen der UNO, die Sache klar: «Wenn ein Unternehmen wie Nestlé kommt und sagt, Pure Life ist die Antwort, wir verkaufen euch Wasser, das wir aus euren eigenen Grundwasservorkommen nehmen, während aus den Leitungen nichts rauskommt oder nur eine ungeniessbare Brühe, dann ist das mehr als unverantwortlich, das ist fast schon ein krimineller Akt.»
Auf Anfrage des TA schreibt Nestlé heute, in Pakistan habe man zwei Wasserfilteranlagen installiert, die über 10'000 Personen in der Region Sheikhupura mit sauberem Trinkwasser versorgten. Der Bau einer weiteren Filteranlage sei für 2012 geplant, zudem habe Nestlé in dem Ort zwei Schulhäuser gebaut.
Kontrast zur Selbstdarstellung
Nestlé ist nicht der einzige Konzern, der in abgefülltem Grundwasser ein Riesenbusiness mit grossem Gewinnpotenzial sieht – auch Danone oder Coca-Cola tun dies. Doch die Art und Weise, mit der Nestlé laut den Vor-Ort-Recherchen der Dokumentarfilmer vorgeht, kontrastiert aufs Heftigste mit der Selbstdarstellung der Westschweizer.
Nestlé sieht sich gern in der Rolle des globalen Problemlösers und will nicht nur Gewinn erzielen, sondern auch «gemeinsam Werte schaffen». «Creating Shared Value» heisst das dafür geschaffene Konzept. Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck wird nicht müde, weltweit über die Bedeutung der Ressource Wasser zu predigen. «Nestlé arbeitet an Imagekorrektur», hatte der TA vor fünf Monaten getitelt und geschildert, wie der Konzern in der Kommunikation neue Wege geht und einen Prozess der Öffnung eingeleitet hat.
In «Bottled Life» ist davon nichts zu spüren: Das sei «der falsche Film zur falschen Zeit», hatte der damalige Sprecher François-Xavier Perroud den Filmern 2007 mitgeteilt – und stattdessen einen Film über Wasserverschwendung in der Landwirtschaft vorgeschlagen. Interviews mit Nestlé-Managern oder Besuche in Abfüllfabriken wurden mehrfach abgelehnt, zuletzt im Herbst 2009.
Hälfte des Geldes für Wasser ausgegeben
Heute sagt Sprecherin Melanie Kohli dem TA, Nestlé sei damals zum Schluss gekommen, dass es sich beim Filmprojekt um eine einseitige und unfaire Darstellung der Geschäftstätigkeiten und Mitarbeiter handeln würde. «Konsequenterweise haben wir während der gesamten Drehzeit auf eine Zusammenarbeit verzichtet. Unser damals abwägend gefällter Entscheid war der richtige Entscheid zu jenem Zeitpunkt.»
Journalist Gehriger liess sich nicht abwimmeln. In Äthiopien besuchte er ein Flüchtlingslager, für das Nestlé 2003 mit 750'000 Dollar die Wasserversorgung erstellt hatte. Zwei Jahre später zog sich der Konzern zurück, seither funktioniert die kaum noch gewartete Anlage mangelhaft, Wasserknappheit ist wieder Alltag. In Nigerias Hauptstadt Lagos erfährt Gehriger, dass Familien die Hälfte ihres Budgets für Wasser in Kanistern aufwenden. Wer es sich leisten kann, trinkt Pure Life von Nestlé. Oder die Dorfgemeinschaften im US-Bundesstaat Maine, die gegen das Abpumpen von Grund- und Quellwasser durch Nestlé kämpfen. Es gilt das Recht der stärksten Pumpe: Wer Land besitzt, darf darauf so viel Wasser pumpen, wie er will. Nestlé schöpft jährlich mehrere Millionen Kubikmeter ab und transportiert das Wasser per Tanklastwagen zu den Abfüllanlagen.
«Die wollen mit unserem Wasser Profit machen, zahlen pro Liter den Bruchteil eines Cents», empört sich eine Kleinunternehmerin. «Die verkaufen das Wasser, das wir fürs WC und zum Händewaschen verwenden, als teures Quellwasser», höhnt ein anderer. Doch weil Nestlé den Gemeinden Steuern bringt, empfangen viele Behörden den Konzern, der von einer Armada von Anwälten und PR-Beratern unterstützt wird, mit offenen Armen. Im Film läuft der Kampf zwischen David und Goliath auf ein Patt hinaus: Am einen Ort gewinnt Nestlé, am anderen die lokale Opposition.
Von Romeo Regenass.
«Bottled Life» zeigt, wie unzimperlich Nestlé das globale Geschäft mit abgefülltem Wasser betreibt.
Es ist eine der Schlüsselszenen im Dokumentarfilm «Bottled Life» des Berner Filmemachers Urs Schnell und des Zürcher Journalisten Res Gehriger: Ein früherer Gemeinderat aus Bhati Dilwan, dem Standort von Nestlés (NESN 53.1 0.09%) Wasserabfüllfabrik Sheikhupura in Pakistan, klagt über das dreckige Trinkwasser, das Kinder krank mache. Mit seinem Tiefbrunnen nehme Nestlé der Bevölkerung das Wasser weg. «Jetzt ist unser Wasser sehr dreckig, der Wasserspiegel sank von 100 auf 300 bis 400 Fuss.» Den Wunsch des Dorfes nach einer Leitung mit sauberem Wasser oder zumindest einem tiefen Ziehbrunnen habe Nestlé abgelehnt.
Das notorisch schlechte Trinkwasser, das in Pakistan und anderswo aus öffentlichen Wasserleitungen fliesst, ist die Grundlage des Erfolgs der Marke Pure Life. Vor gut zehn Jahren hat der Nahrungsmittelkonzern begonnen, Grundwasser mit Mineralien zu versetzen und in Flaschen abzufüllen. Vor der Lancierung der Marke in Pakistan hatte Nestlé über ein PR-Büro Seminare organisiert, in denen Beamte aus dem Gesundheitsministerium die Qualität des Trinkwassers bemängelten und darauf hinwiesen, dass lokale Wassermarken kontaminiertes Wasser enthielten. «Pure Sicherheit, pures Vertrauen», bewarb Nestlé sein Wasser. Heute ist Pure Life die grösste Wassermarke der Welt, für John Harris, Chef von Nestlé Waters, ist sie «ein Juwel in unserem Portfolio».
«Ein krimineller Akt»
Angesichts der Tatsache, dass jeden Tag mehr Kinder an verschmutztem Wasser sterben als an Aids, Krieg, Verkehrsunfällen und Malaria zusammen, ist für Maude Barlow, eine frühere Chefberaterin für Wasserfragen der UNO, die Sache klar: «Wenn ein Unternehmen wie Nestlé kommt und sagt, Pure Life ist die Antwort, wir verkaufen euch Wasser, das wir aus euren eigenen Grundwasservorkommen nehmen, während aus den Leitungen nichts rauskommt oder nur eine ungeniessbare Brühe, dann ist das mehr als unverantwortlich, das ist fast schon ein krimineller Akt.»
Auf Anfrage des TA schreibt Nestlé heute, in Pakistan habe man zwei Wasserfilteranlagen installiert, die über 10'000 Personen in der Region Sheikhupura mit sauberem Trinkwasser versorgten. Der Bau einer weiteren Filteranlage sei für 2012 geplant, zudem habe Nestlé in dem Ort zwei Schulhäuser gebaut.
Kontrast zur Selbstdarstellung
Nestlé ist nicht der einzige Konzern, der in abgefülltem Grundwasser ein Riesenbusiness mit grossem Gewinnpotenzial sieht – auch Danone oder Coca-Cola tun dies. Doch die Art und Weise, mit der Nestlé laut den Vor-Ort-Recherchen der Dokumentarfilmer vorgeht, kontrastiert aufs Heftigste mit der Selbstdarstellung der Westschweizer.
Nestlé sieht sich gern in der Rolle des globalen Problemlösers und will nicht nur Gewinn erzielen, sondern auch «gemeinsam Werte schaffen». «Creating Shared Value» heisst das dafür geschaffene Konzept. Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck wird nicht müde, weltweit über die Bedeutung der Ressource Wasser zu predigen. «Nestlé arbeitet an Imagekorrektur», hatte der TA vor fünf Monaten getitelt und geschildert, wie der Konzern in der Kommunikation neue Wege geht und einen Prozess der Öffnung eingeleitet hat.
In «Bottled Life» ist davon nichts zu spüren: Das sei «der falsche Film zur falschen Zeit», hatte der damalige Sprecher François-Xavier Perroud den Filmern 2007 mitgeteilt – und stattdessen einen Film über Wasserverschwendung in der Landwirtschaft vorgeschlagen. Interviews mit Nestlé-Managern oder Besuche in Abfüllfabriken wurden mehrfach abgelehnt, zuletzt im Herbst 2009.
Hälfte des Geldes für Wasser ausgegeben
Heute sagt Sprecherin Melanie Kohli dem TA, Nestlé sei damals zum Schluss gekommen, dass es sich beim Filmprojekt um eine einseitige und unfaire Darstellung der Geschäftstätigkeiten und Mitarbeiter handeln würde. «Konsequenterweise haben wir während der gesamten Drehzeit auf eine Zusammenarbeit verzichtet. Unser damals abwägend gefällter Entscheid war der richtige Entscheid zu jenem Zeitpunkt.»
Journalist Gehriger liess sich nicht abwimmeln. In Äthiopien besuchte er ein Flüchtlingslager, für das Nestlé 2003 mit 750'000 Dollar die Wasserversorgung erstellt hatte. Zwei Jahre später zog sich der Konzern zurück, seither funktioniert die kaum noch gewartete Anlage mangelhaft, Wasserknappheit ist wieder Alltag. In Nigerias Hauptstadt Lagos erfährt Gehriger, dass Familien die Hälfte ihres Budgets für Wasser in Kanistern aufwenden. Wer es sich leisten kann, trinkt Pure Life von Nestlé. Oder die Dorfgemeinschaften im US-Bundesstaat Maine, die gegen das Abpumpen von Grund- und Quellwasser durch Nestlé kämpfen. Es gilt das Recht der stärksten Pumpe: Wer Land besitzt, darf darauf so viel Wasser pumpen, wie er will. Nestlé schöpft jährlich mehrere Millionen Kubikmeter ab und transportiert das Wasser per Tanklastwagen zu den Abfüllanlagen.
«Die wollen mit unserem Wasser Profit machen, zahlen pro Liter den Bruchteil eines Cents», empört sich eine Kleinunternehmerin. «Die verkaufen das Wasser, das wir fürs WC und zum Händewaschen verwenden, als teures Quellwasser», höhnt ein anderer. Doch weil Nestlé den Gemeinden Steuern bringt, empfangen viele Behörden den Konzern, der von einer Armada von Anwälten und PR-Beratern unterstützt wird, mit offenen Armen. Im Film läuft der Kampf zwischen David und Goliath auf ein Patt hinaus: Am einen Ort gewinnt Nestlé, am anderen die lokale Opposition.
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